Charlie Hebdo: Als der freie Westen sich verriet
Der Anschlag auf Charlie Hebdo markierte einen Wendepunkt für unser westliches Selbstverständnis. Eine Erinnerung.
Vor kurzem jährte sich das Attentat auf Charlie Hebdo, die bekannteste Satire-Zeitschriften Frankreichs neben dem “Canard enchaîné” zum zehnten Mal. Bei dem Anschlag kamen 12 Menschen, überwiegend Karikaturisten und Journalisten, ums Leben. Es war schon damals ein Moment der Zäsur, nicht nur in der Rückschau. Jeder wollte solidarisch, jeder wollte “Charlie” sein, der Satz “Je suis Charlie” machte memetisch die Runde.
Charlie Hebdo war dafür bekannt, sich über alles lustig zu machen, auch über Religionen, auch über den Islam. “Was darf Satire? Alles”. So sagte es Kurt Tucholsky, der bekannte Publizist der Weimarer Republik und das galt auch für Charlie Hebdo. Dieses Magazin traute sich, auch Mohammed-Karikaturen von “Jyllands Posten” abzudrucken. Soweit ging die Solidarität anderer Zeitungen mit Charlie dann nicht mehr. Man wollte Charlie sein, aber lieber ohne Risiko. Das kollektive Solidaritätszeichen verpuffte als Lippenbekenntnis.
Ich war damals in Paris, erlebte die Massen-Demonstration live mit. Bei dem Attentat starb auch Bernard Maris, ein Freund Michel Houllebecqs. Houllebecqs Buch “Unterwerfung” erschien am gleichen Tag. Zufall? Die Geschichte und ihre Synchronizitäten gehen manchmal wundersame Wege.
Am 13. November 2015 kam es zu einem weiteren Attentat u.a. im Bataclan und um das Stade de France herum. Ich wohnte wenig zuvor noch in der Rue de la Fontaine au Roi im 11. Arrondissement, unweit der Place de la République. Mein Stammcafé “Café du Phare” wurde von Maschinengewehrkugeln durchsiebt, die Pizzeria daneben ebenfalls. Ich saß oft in diesem Café, schrieb an Büchern, wissenschaftlichen Texten und ersten Kolumnen für die NZZ. Damals unterrichtete ich u.a. Öffentliches Recht und Grundrechte an der Pariser Sorbonne, beschäftigte mich täglich mit Fragen rund um Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit.
Ich ging wie selbstverständlich davon aus, dass diese verfassungsrechtlich garantierten Werte für die Öffentlichkeit (und v.a. andere Journalisten) einen ebenso wichtigen Stellenwert haben, wie es ihr Platz in den Verfassungen des Westens nahe legt. Ich täuschte mich, was sicher auch meiner juristischen Brille und “déformation professionelle” geschuldet war. Ich las damals mehr Artikel, welche den Respekt vor Religionen betonten, als den Wert der Meinungs- oder Kunstfreiheit. In der Rückschau von heute begann spätestens damals die schiefe Ebene, die uns heute in die Gefilde von Zensur, Löschungen, Shadowbanning, Fact-Checker etc. geführt hat.
Freiheit, die nicht genutzt wird, nutzt sich ab und verschwindet irgendwann. Sie zurück zu erkämpfen ist ungleich schwieriger, als sie zu verteidigen. Damals schrieb ich eher sporadisch Texte für Zeitungen, im Grunde vor allem dann, wenn mir ein Thema wichtig war und dieses unterbelichtet blieb. Dieser folgende Text, der damals im Feuilleton der NZZ erschien, war so ein Text.
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In der jüngsten Ausgabe von «Charlie Hebdo» seit dem Anschlag in Paris reiben sich die Redaktoren verwundert die Augen. Was ist nur mit dieser Welt los? Politiker aller Couleur, 50 Regierungschefs und Millionen Bürger auf den Straßen; Die Kathedrale von Notre-Dame lässt für Atheisten die Glocken läuten und die ersten denken laut darüber nach, anarchistische Zeichner in das Pariser Panthéon aufzunehmen, die letzte Ruhestätte von Victor Hugo, Marie Curie oder Jean-Jacques Rousseau. Man merkt der Redaktion an, dass ihr das kollektive Kuschelbedürfnis auch etwas unangenehm ist.
Die weltweite Solidarisierungswelle mit «Charlie Hebdo» war überwältigend und wichtig. «Ich bin Charlie» wurde zum kollektiven Aufschrei der freien Welt. Die Botschaft lautet: «Wenn ihr Charlie angreift, greift ihr mich an». Was wird davon bleiben, wenn sich der Staub legt? Werden die Kontinentalplatten unserer Freiheitsordnung sich verschoben haben?
Ein Riss durch die freie Welt
Leider haben sie es längst getan. Der Anschlag auf «Charlie Hebdo» war ein Erdbeben. Aber es legte letztlich nur erneut frei, was seit dem Streit um die Veröffentlichung der Mohammed Karikaturen in der dänischen Zeitung «Jyllands-Posten» im Jahr 2005 bereits klar und nur etwas verschüttet war: Durch die freie Welt geht ein Riss, und die Medienlandschaft als Index der Freiheiten zeigt ihn an.
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