Die Wahrheit ist tot – es lebe die Wahrheit!
"Don't shoot the messenger" gilt nicht mehr. In Gaza werden Journalisten inzwischen gezielt getötet.
“Der Autor ist auf die freie Wildbahn angewiesen und muss die Gefahren in Kauf nehmen. Er kann sich im Naturschutzpark nicht wohl fühlen – selbst wenn er zu den Tieren gehört, auf die nicht geschossen werden darf.”
- Ernst Jünger “Autor und Autorschaft”
Vor fast fünf Jahren verließ ich den Altpapierjournalismus, um den Debattenraum zu erweitern. Was das genau hieß, wusste ich damals nicht. Ich ahnte nur, dass sich da draußen zwei Arten von Journalismus frontal begegneten – und zwar ohne Sicherheitsabstand.
Auf der einen Seite der Journalismus, den ich meinte: neugierig, widerspenstig, ohne Angst vor hässlichen Realitäten. Eine Arbeit, die nicht fragt, ob die Wahrheit hübsch ins Wohnzimmer passt, sondern ob sie wahr ist. Auf der anderen Seite: der Cheerleaderjournalismus. Propaganda im schicken Layout. Redaktionen, die die Realität wie ein Fertiggericht vorkochen und in mundgerechten Häppchen servieren. Der Leser möchte wissen, was passiert ist – und bekommt stattdessen gesagt, was er glauben soll.
Im Sommer 2020 entfloh ich Corona auf auf einer Motorradtour durch Kroatien bis nach Dubrovnik und Montenegro. Im Gepäck: Walter Lippmanns Liberty and the Press. Lippmann, selbst kein Musterknabe journalistischer Neutralität, trommelte für Kriege, diagnostizierte aber klar: Objektivität ist etwas für Idealisten. Gerade im Krieg, wo Reporter lieber Generälen lauschen als Augenzeugen, wird die Darstellung von Realität zur Glaubensfrage.
Von Riga nach Gaza – der Informationskrieg
Am vergangenen Wochenende schloss sich ein Kreis: fuhr ich nach Riga, zu einer der ältesten Bitcoin-Konferenzen, ein Treffpunkt auch der Kinder der Cypherpunks – jener digitalen Dissidenten, die seit den 1980ern für Privatsphäre und Redefreiheit kämpfen. Dort stellte ich Pareto vor, unsere unzensierbare Plattform für Blogger und Publikationen, an der ich mit einem Team seit zwei Jahren arbeite – finanziert auch aus diesem Leserkreis. Ein Stemmeisen für den Debattenraum.


Auf einem Hackathon (Coding-Wettbewerb) arbeiteten wir die nächste Idee aus: ein dezentrales Korrespondentennetzwerk über Nostr und Bitcoin. Bürgerjournalisten könnten mit ihren Handykameras dokumentieren, was in Kriegs- und Krisengebieten geschieht – Ereignisse, die wir bislang nur gefiltert oder aus zweiter Hand erfahren. Kaum ein Journalist kommt nach Gaza, über 170 sind dort schon gestorben – mehr als in jedem Konflikt seit dem Zweiten Weltkrieg.
Die Idee wurde von der Realität eingeholt: In der Nacht von Sonntag auf Montag bombardierte die israelische Armee ein Journalistenzelt von Al Jazeera, tötete gezielt Reporter, darunter Anas Al Sharif, der u.a. offen Hamas-Aktionen bejubelt hatte. Trotzdem: „Don’t shoot the messenger“ gilt nicht mehr. Die gezielte Tötung von Pressevertretern ist ein Bruch des humanitären Völkerrechts – und ein Signal: Bilder sind zur Kriegswaffe geworden.
Wovon es kein Bild gibt, davon gibt es keine Vorstellung. Das Verschwindenlassen von Information ist strategisch eine Art Geländegewinn. Journalisten werden wie feindliche Kombattanten behandelt. Gehören sie nun zu den “Tieren, auf die geschossen werden darf?”
PR statt Pressefreiheit
Israel machte zuletzt 150 Millionen Dollar für PR frei. Wieviel davon fließt auch nach Deutschland? Mit so einer Summe kann man Blockbuster drehen – oder versuchen, den Genozidvorwurf wegzuretuschieren. Genozid und seine Leugnung sind historische Zwillinge. Kein Genozid ohne Mnemozid, Gedichtnismord.
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