Freischwebende Intelligenz

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E-ID: Raus aus dem digitalen Menschenpark!

Ihre digitalen Papiere, bitte!? Warum wir das Recht auf analoges Leben verteidigen müssen.

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Milosz Matuschek
Sept. 08, 2025
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Die Asymmetrie der Welt: Wenige wissen alles über viele (Grafik: KI)

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Ich lebe in der Schweiz und möchte mich über die anstehende Abstimmung zur e-ID informieren. Also gehe ich zum Zeitungskiosk und sage: „Bitte einmal die NZZ.“ – „Kann ich zuerst Ihren Ausweis sehen?“ fragt der Verkäufer.
Ist es wirklich schon so weit? Muss ich mich ausweisen, um eine Zeitung zu kaufen? Noch nicht – zumindest nicht im Print. Das Beispiel ist fiktiv. Online jedoch ist es Realität. Will ich den Artikel über die e-ID lesen, in dem mir die NZZ das digitale Paradies verspricht, muss ich Cookies akzeptieren.

Dahinter stehen hunderte Werbetreibende und Datenfirmen weltweit, von den USA bis Israel. Sie wollen wissen, wann ich mich einlogge, von welcher IP-Adresse, vielleicht wie sich meine Maus bewegt. Sie ziehen Rückschlüsse: Welchen Tagesrhythmus hat dieser Mensch? Welche Inhalte klickt er? So entsteht ein Bewegungs- und Persönlichkeitsprofil – das Datengold, hinter dem heute alle her sind. Am Ende landet es bei Konzernen wie Palantir oder bei Regierungen, die alles auslesen können.

Da scrollt man ein Weilchen (Screenshot/Nzz.ch)

Orwell ist überholt

„Big Brother is watching you“ von Orwell ist längst überholt. Heute gilt: „Big Brother is everywhere”. Er ist da, auch im Schlaf und kann theoretisch Puls, Herzschlag, Schlafqualität live beobachten; er extrahiert, kombiniert und fusioniert Daten.

Die Menschenwürde-Garantie besagt, dass der Mensch nicht zum Objekt gemacht werden darf. Im Digitalkapitalismus jedoch ist der Mensch vor allem ein Datenträger – ein wandelndes Bergwerk, aus dem peu à peu das Gold geschürft wird. Privatheit ist der Boden, auf dem Menschenwürde wurzelt. Freie Entfaltung ist nur im unbeobachteten, nur uns gehörigen Raum, möglich. Wer sich bei allem beobachtet fühlen muss, dem wird das Recht auf Authentizität genommen. Dann sind wir im Menschenpark angekommen, im Streichelzoo für Humanoide, wo Regierungen und Datenkotzerne (sic!) wie Palantir dem digital eingezäunten Menschen ein wenig beim Leben zuschauen.

(Quelle. Facebook, “Das war vor 15 Jahren”)

Heute zahle ich bereits mit Daten, wenn ich einen Artikel lesen will. Was später damit geschieht, weiß niemand.

Was, wenn ich mich künftig nur noch per eID einloggen kann? Die gesetzliche Möglichkeit für diesen Quasi-Zwang ist im Gesetz bereits gelegt, Art. 25. Die Freiwilligkeitspflicht gilt nur für öffentliche Stellen. Schon einmal hat die Schweiz die digitale Identität abgelehnt. Nun kommt das Vorhaben erneut vors Volk. Wieder sollen die Bürger entscheiden, ob sie sich an die digitale Leine legen lassen wollen.

Das Versprechen: Alles wird einfacher, schöner, magischer. Angeblich ist alles open source, dezentral und datensparsam – freiwillig natürlich. Die Realität: Kontrollpunkte entstehen, Misstrauen wächst. Um die e-ID zu erhalten, muss man sich bei der Bundespolizei Fedpol registrieren und die ID mit dem Handy verknüpfen, das zu einer Art Schlüssel für den digitalen und wohl auch analogen Raum wird. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis Medienhäuser, Webshops und Mobilfunkanbieter aus der „Freiwilligkeit“ eine Pflicht machen.

Aus scheinbarer Freiwilligkeit wurde und wird schnell Zwang. Niemand muss die eID nutzen. Aber niemand muss dann Zugang zu einem Service erhalten, der nur noch über die e-ID funktioniert. Zuerst profitieren die Unternehmen, angelockt von Datenbergen. Der Staat aber sitzt am längeren Hebel: Er beobachtet, greift ab, kontrolliert. Am Ende machen beide – Staat und Wirtschaft – die Daten des Bürgers zur Beute.

Schon die Erinnerung an die Einführung der Impfpässe wirkt unheimlich. Mit der e-ID lassen sich Bevölkerungen weiter segmentieren. Über digitale Mobilität kann so auch die physische Bewegungsfreiheit gesteuert und dosiert werden. Dann gilt nicht mehr der Vorrang der Freiheit, sondern der Vorrang des privilegierten Zugangs zu Freiheit.

Die Schweizer e-ID fällt nicht vom Himmel. Sie ist Teil einer globalen Entwicklung: WHO-Impfpässe, internationale Gesundheitsvorschriften, die Einschränkung von Privatheit, Fernmeldegeheimnis und Freizügigkeit. In Großbritannien heißt es „oneID“, in Deutschland „digitale Brieftasche“. Und über Artikel 32 des Schweizer Gesetzes gibt es ein völkerrechtliches Hintertürchen, mit dem eine e-ID indirekt eingeführt werden könnte.

Aus dem IGV in Deutschland

Das wirkt orchestriert – und ist es auch. Das Gesetz ist längst in trockenen Tüchern. Die Zustimmung des Volks gilt als Formalie. Politik funktioniert hier wie ein Sperrklinken-Mechanismus: immer nur in eine Richtung – mehr Kontrolle, weniger Freiheit. Ob es schneller oder langsamer geht, ist dann gar nicht so wichtig, solange es nur voran geht.

In diese Richtung wird es noch viele Abstimmungen und Gesetzesvorhaben geben. Doch jedem Einzelnen muss klar sein: Digitale Selbstermächtigung bedeutet zu allererst, auf ein Kontrollnetz zu verzichten, das einen jederzeit aussperren kann – so wie der Computer HAL 9000 in 2001: Odyssee im Weltraum: „Entschuldige, ich kann dich nicht mehr reinlassen.“

Das Recht auf analoges Leben verteidigen

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