Die Krönungsmesse des globalen Sozialismus
Durch die Coronakrise wird die Systemfrage erneut gestellt. Wer stellt sich dem kollektivistischen Wahnsinn entgegen?
«Wenn der Kapitalismus so gut funktioniert, warum muss er dann alle zehn Jahre vom Sozialismus gerettet werden?» – es sind Sätze wie diese auf Twitter und anderswo, die derzeit viel Beifall finden, gerade bei den Jungen der «Generation Y» und «Z» (ca. ab 1980 bzw. 2000 geboren). Die bestechend-fatale Logik lautet: je mehr ein nachweislich funktionierendes System (Marktwirtschaft) gerade bewusst an die Wand gefahren wird, desto eher wird uns ein nachweislich nicht funktionierendes System (Sozialismus) aus der Misere helfen. Political Correctness, inflationäre Geldpolitik, angeblich alternativlose «Green New Deals» und das bedingungslose Grundeinkommen sind die bereits sichtbaren apokalyptischen Reiter einer epochalen Zäsur. Doch es kommt mehr.
Die Coronakrise ist Durchlauferhitzer für einen Systemwechsel. Ja, in den nächsten zehn Jahren wird die junge Generation die Systemfrage neu stellen. Ja, der Sozialismus wird in neuem Gewande daherkommen. Ja, es wird den Todesstoß für das marktwirtschaftliche System bedeuten, wenn wir jetzt nicht gegensteuern. Die Millennials (auch «Generation Y» genannt) sind die größte Generation, die es je gab. Mit 80 Millionen allein in den USA (das ist die Einwohnerzahl Deutschlands), 350 Millionen in China und weltweit 1,8 Milliarden übertreffen sie seit kurzem erstmals zahlenmäßig die geburtenstarken Babyboomer. Sie werden in Zukunft darüber bestimmen, welche Technologie, Ideologie oder Politik sich durchsetzt, per Wahlzettel, Bankkarte oder Like-Button. Ihr Mindset wird systemprägend sein, einfach schon durch ihre zahlenmäßige Dominanz.
Die Systemfrage ist eine Generationenfrage
Das Mindset vieler Millennials ist jedoch nur vordergründig ein freies, permissives, diverses. So lautet das gängige Label für die dauervernetzten, urbanen «Anywheres», die in Szenekaffees vor großen Kaffeetassen und kleinen Bildschirmen hängen – und fälschlicherweise das Bild dieser Generation prägen. Tatsächlich ist ihr Mindset oft ein etatisches, dirigistisches, monotones. Inzwischen können sich laut Umfrage 70% der Millennials in Amerika vorstellen, für sozialistische Politiker, wie Alexandria Octavio-Cortez oder Bernie Sanders zu stimmen. «Millennial Socialism» nennt der «Economist» dieses Wiedererstarken des Sozialismus.
Die Verstaatlichung des Finanzsektors zum Beispiel ist für Grace Blakeley, eine 26jährige Vordenkerin dieser Bewegung, das Mindeste, idealerweise verbunden mit einem neuen, grün-feministischen Klassenbewusstsein. Für Klima, Minderheitenrechte oder die Enteignung von Immobilienfirmen wären sie wohl auch bereit, die Demokratie zu opfern (die sie ohnehin kritischer sehen als frühere Generationen). Denn wozu noch abstimmen, wenn man selbst zu den «99 Prozent» gehört, und auch noch zu 100 Prozent Recht hat? «Das ist nicht links, das ist logisch!», lautet das Mantra der Selbstvergewisserung. Diskussionen stören eher. Die «Millennial Socialists» sind die neuen Extremisten der Mitte, die Dschihadisten des Mainstreams.
Die Gründe für diesen Schwenk sind auf den ersten Blick nachvollziehbar, nämlich Verlustangst sowie eine Wut über verringerte Chancen. Die Millennials sind die Generation, die mit dem Dotcomcrash, der Finanzkrise von 2008 und jetzt mit Corona in 20 Jahren gleich drei einschneidende Krisen erlebt hat. In Großbritannien sind laut einer Studie Dreissigjährige erstmals finanziell schlechter gestellt als die gleiche Altersgruppe vor zehn Jahren – allein ihr Medianvermögen ist um 20% geringer.
Die Millennial socialists sind die Wutbürger im Wartestand. Sie sind das Produkt von Krisen und zugleich Objekt pädagogischer Verhätschelung, pharmakologisch-medialer Sedierung und unterhaltungsindustrieller Arglosigkeit. Nach dem Durchlaufen eines egalitären Bildungssystems, dem säkularen Pendant zur Koranschule, sind sie davon überzeugt, dass vor allem sofortige kreative Umverteilung von zukünftiger Wirtschaftsleistung das Problem lösen kann. Das haben sie auch von ihren Eltern so gelernt, welche eher glaubten, die Welt auf ihre Kinder vorbereiten zu müssen, als umgekehrt: schuld sind immer die anderen; Probleme lassen sich endlos aufschieben; es zählt nicht, wer inhaltlich recht hat, sondern wer das beste moralische Framing hinbekommt.
Wie passend, dass das Wort “Eigenverantwortung” gerade von selbsternannten, aber medial gehypten Sprachkritikern zum Unwort des Jahres gekürt worden ist. Interessant, oder? Genau diejenigen, die in der Klimadebatte bei dem Satz «wir haben die Erde von unseren Kindern nur geliehen» feuchte Augen bekommen, sind es, die ihren eigenen Kindern mit einer gnadenlosen Nonchalance ein Schuldenjoch um den Hals legen und ihnen damit die Zukunft stehlen würden – nur um noch ein paar Jahre länger die Illusion von Wohlstand genießen zu können. Aber Kinderkriegen ist ja ohnehin ein Verbrechen an der CO2-Bilanz.
Eine epochale Weggabelung steht bevor
Eine ganze Generation durchläuft gerade eine größere Sinnkrise, den «Millennihilism». Viele erkennen, dass Institutionen und Autoritäten die einst gemachten Versprechungen vom besseren Leben nicht einhalten konnten. Das ist schlimm, doch die psychologische Reaktion darauf ist noch viel fataler. In Zeiten der Krise ruft man nach dem Bail-Out für alle, nach Versorgung, Umverteilung und Bevormundung. Anstatt die aktuelle Herausforderung anzunehmen, legt man die Hände in den Schoß. «Bullshit-Jobs» (David Graeber) waren gestern – morgen kann man sich per Grundeinkommen das Hobby von der Allgemeinheit alimentieren lassen. Das verstehen manche jetzt unter «Krise als Chance». Wo gestern die Eltern helfend einsprangen, soll es nun die Allgemeinheit tun. Doch wer Rettung in Selbstaufgabe sucht, hat schon kapituliert. Sollen diese Kräfte wirklich die Oberhand über die Zukunft bekommen? Das Ypsilon in «Generation Y» steht für eine epochale Weggabelung zwischen Aktivität oder Passivität, Selbstbestimmung oder Fremdbestimmung, Freiheit oder Sozialismus.
Bitte, liebe Millennial Socialists, gebt mir ein bisschen Glauben an die Menschheit (und eure geistige Zurechnungsfähigkeit) zurück. Legen wir die (Kampf)Begriffe mal bei Seite und die Hand aufs Herz: nach welchen Prinzipien würdet ihr eine halbwegs florierende Zivilisation bauen, wenn ihr morgen mit einer Gruppe von zehn Menschen im Wald ausgesetzt wäret und euch selbst versorgen müsstet? Würdet ihr dann zuerst jagen, fischen und Beeren sammeln oder erst mit der Erstellung eines Verteilungsschlüssels anfangen? Würdet ihr die Blätter an den Bäumen zu Geld erklären, denn dann gäbe es ja genug davon für alle, wie im Buch «Per Anhalter durch die Galaxis» von Douglas Adams? Würdet ihr den erfolgreichsten Jägern den Großteil wegnehmen und sie öffentlich beschämen, damit sich die weniger Fähigen etwas besser fühlen? Ginge es dann allen besser? Also, warum soll, was im Kleinen nicht funktioniert, im größeren Zusammenhang funktionieren, nur weil man Institutionen wie Zentralbanken dazwischenschalten kann, die so tun, als könnten sie Wohlstand durch Geldvermehrung schaffen? Eine Gesellschaft der Löwen, die durch Esel angeführt werden, kann nicht funktionieren.
Der große Irrtum der Kämpfer für einen neuen Sozialismus liegt in der Analyse der Ausgangslage. Denn wir leben mitnichten in einem System entfesselter Märkte. Schon die Geldpolitik ist gänzlich verstaatlicht. Ähnlich ist es im Bereich der Bildung, der Energie oder der sozialen Sicherung. Tatsächlich leben wir am ehesten in einem Semi-Sozialismus, und zwar, um es mit Peter Sloterdijk zu sagen, einem «steuerstaatlich zugreifenden». Als der real existierende Sozialismus vor gut 30 Jahren auf der Müllhalde der Geschichte landete, änderte er schlicht seine Form und vergiftete das Grundwasser eines proto-kapitalistischen Systems mit einem neuen Narrativ: moralische Zwecke heiligen ab jetzt alle Mittel.
Crony-Care-Capitalism: In welchem System leben wir wirklich?
Das Wesen des gegenwärtigen Systems zu beschreiben, ist dabei gar nicht so einfach. Wir haben es mit einem janusköpfigen Monster zu tun, einem sich zu Lasten unserer Kinder und Kindeskinder bedienenden Umverteilungsapparat auf einer Rumpf-Marktwirtschaft. Es verteilt Wohltaten nicht nach dem Motto «too big to fail» sondern nach dem Motto «not small enough to not care about». Mindestens drei Elemente sind erkennbar: Eine «totalitäre Demokratie» (Jacob L. Talmon), die offizielle Wahrheiten kennt, ein «Crony-Care-Capitalism», also ein mit Großkonzernen verfilzter Staatskorporatismus, und ein das Denken verkleisternder, geheimpolizeilich gefärbter Kulturneomarxismus in Bildung, Kunstbetrieb, Sprache und Medien.
«Woke» nennen sich gerade die Millennials, die erkannt haben, wie man auf dem Rücken dieses Monsters am besten reitet. Viele tun es mit den besten Absichten und edelsten Zielen. Doch die «eierlegende Wollmilchsau», die sie gerade züchten, kann nur geben, was sie anderen weggenommen hat. Ihre Macht ist endlich, denn sie kannibalisiert sich irgendwann selbst. Bis dahin nährt sie sich von willensschwachen, beeinflussbaren, verängstigten und verarmenden Menschen. Je mehr es davon gibt, desto besser für sie. Es ist ein System, das von Anfang an einer Todesspirale folgt.
Die Politik, selbst die liberalste, ist längst in dieser Spirale gefangen und Teil des Problems. Das Gegenprogramm findet eher in alternativen neuen Communities statt, die sich emotional, spirituell, künstlerisch, alimentär oder technologisch neu aufstellen. Zudem gibt es durchaus Bereiche, wo besonders Millennials den Weg der Selbstermächtigung statt Selbstaufgabe wählen. 20% der amerikanischen Millennials besitzen beispielsweise bereits Bitcoin und Kryptowährungen – mehr als jede andere Alterskohorte. Sie misstrauen staatlichem Geld und wählen den Opt-Out aus dem Irrweg des «Millennial Socialism». Es sind Ideen wie diese, die anziehend wirken. Nicht nur, weil sie der Vermögensbildung dienen können, sondern weil sie Möglichkeitssinn vermitteln, ein Denken «outside the box». Von dieser Art «wokeness» bräuchte es auch in anderen Bereichen, wie Bildung, Medien, politische Teilhabe, weitaus mehr. Es ist ein Wettbewerb in der jungen Generation im Gange: zwischen denen, die ein «Weiter so, wie bisher» wollen und denen, die zu neuen Ufern aufbrechen.
Der «Millennial Socialism» kommt auf den Samtpfoten der hehren Ziele und dem sanften Druck des Konformismus daher. Der Technikphilosoph Günther Anders hat diesen Prozess einmal höchst treffend beschrieben:
«Je integraler eine Macht, um so stummer ihr Kommando. Je stummer ein Kommando, um so selbstverständlicher unser Gehorsam. Je selbstverständlicher unser Gehorsam, um so gesicherter unsere Illusion der Freiheit. Je gesicherter unsere Illusion der Freiheit, um so integraler die Macht».
Es bleibt nicht mehr viel Zeit, aus diesem Teufelskreis auszubrechen.
Dieser Essay erschien zuerst in gekürzter Form im Mai 2020 in der NZZ.
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Also bei allen Respekt für die aufrechten Worte in der Corona-Krise, dieser Beitrag ist vollkommen unlogisch in sich selbst. Sanders und Cortez sind nun wirklich nicht die Organisatoren des Great Reset. Hier haut der Autor wirklich alle Denkreste in n einen Topf.
Der Weg in die Hölle ist mit lauter guten Vorsetzen gepflastert