Die Angst des Establishments vor Joe Rogan
Je mächtiger freie Medienmacher werden, desto gefährlicher sind sie für die Machthaber. Doch man wird den Geist nicht mehr zurück in die Flasche bekommen.
Es kommt nicht oft vor, dass das Weiße Haus ein schwedisches Unternehmen, Spotify, auffordert, einen Amerikaner zu zensieren. Bei Joe Rogan war das kürzlich der Fall. Rogan ist der mächtigste Podcaster der Welt. Kein Journalist hat im Netz mehr Reichweite als er. Sein Gespräch mit mRNA-Erfinder Robert Malone ging durch die Decke. Jetzt ist er den Mächtigen zu gefährlich geworden und über 100 Folgen sind von Spotify verschwunden. Der nachfolgende Text von mir aus dem Feuilleton der NZZ war mit der erste im deutschsprachigen Raum, der sich tiefer mit Joe Rogan und dem Phänomen des “Intellectual Dark Web” befasste.
Die Zauberflöte Mozarts von 1791 gehört weltweit zu den meistgespielten Musiktheaterstücken – und ist sie nicht zu Recht gerade das Stück der Stunde? Sie schult Urteilskraft: nach initiationsartigen Prüfungen stellt sich die zuerst als gut dargestellte Königin der Nacht schließlich als böse heraus, während der zuerst als Tyrann diffamierte Zauberer Sarastro sich als Aufklärer und Humanist erweist. Weiß wird schwarz und schwarz wird weiß. Ganz ähnlich ist es heute auch bei der Diskussion um das sogenannte „Intellectual Dark Web“ (IDW), das für manche scheinbar als Hort des bösen und gefährlichen Denkens gilt. Tatsächlich ist das IDW eher das Licht am Ende des Tunnels, während der Apparat der Sinnvermittlung zunehmend stottert.
Die Bastion der Meinungsgatekeeper wankt
Es gab nie nur einen Ort, an dem Realität verhandelt wird. In dunklen Zeiten geschah der Ideenaustausch oft in Geheimgesellschaften, wie sie die Zauberflöte mit Anleihen aus ägyptischen Mysterien und der Freimaurerei thematisiert. Das „Intellectual Dark Web“ ist insofern eine Gabelung der Idee des Marktplatzes der Ideen und folgt einem steigenden Bedürfnis, kontroverse Ideen ohne gouvernantenhafte Einhegung zu diskutieren, also außerhalb des akademisch-kulturbetrieblich-medialen Komplexes.
Den augenzwinkernd gemeinten Begriff prägte der Mathematiker Eric Weinstein, der für den Investor und Philosophen Peter Thiel arbeitet. Zum Feindbild jedenfalls taugen die Protagonisten, wie dessen Bruder Bret Weinstein, Sam Harris, Jordan B. Peterson, Joe Rogan, Ben Shapiro, Jonathan Haidt, Christina Hoff-Sommers, Ayaan Hirsi-Ali und einige mehr allenfalls für diejenigen, die sich in der eigenen Geschäftsgrundlage der Diskurshoheit angegriffen fühlen.
Unterkomplex ist schon jede monolithische politische Einordnung in einem links-rechts-Schema. Selbst wenn man eine gewisse Grundierung des klassischen Liberalismus bezüglich der Haltung zur freien Rede erkennen mag, sind Schattierungen von links über konservativ bis zu libertär ebenso vorhanden wie Differenzen in der Sache, die unter denkenden Menschen naturgemäß dazugehören. Wo kein Disput ist, da ist auch kein Leben (und kein Spaß).
Wenn es überhaupt eine Klammer für diese Gruppe gibt, dann dürfte diese jenseits der Liebe zur freien Rede in der Haltung zu suchen sein, wonach die gleichen Spielregeln für alle gelten sollen. Die meisten würden wohl der Auffassung Friedrich-August von Hayeks in seiner „Verfassung der Freiheit“ zustimmen, dass Gerechtigkeit in freien Gesellschaften eine Sache von abstrakten Regeln und Prinzipien ist, niemals aber Ergebnis eines repressiven Interventionismus sein darf – egal ob dieser von staatlicher Seite oder den Fürsprechern einer Öffentlichkeit kommt, die sich auf einen vermeintlichen gesellschaftlichen Konsens berufen.
Die neuen Häretiker kommen gut an
Jordan Peterson erklärte öffentlich, dass er sich nicht an ein kanadisches Gesetz (Bill C-16) halten wolle, durch welches er sich zu einer genderspezifischen Ansprache von Transpersonen verpflichtet sah. Bret Weinstein widersetzte sich einem „Tag der Abwesenheit“ von Weißen am Evergreen-College, wo er Evolutionsbiologie unterrichtete, weil er diese Form des symbolischen „virtue signalling“ selbst für eine Form des Rassismus hält. Inzwischen mussten seine Frau und er das College verlassen. Weder Peterson noch Weinstein sind freilich Rassisten oder auch nur Chauvinisten. Ihre Kritik gilt einzig dem Totalitätsanspruch und den Methoden, durch die Minderheitenschutz erzwungen werden soll. Dass sich die akademischen Institutionen, denen sie angehörten, nicht schützend vor sie stellten, markiert seitdem eine Bruchlinie: der Schutz von Personen mit einer bestimmten Gruppenidentität schon vor vermeintlicher Diskriminierung wird über die Denk- und Redefreiheit des Lehrpersonals gestellt.
Aus dem Sündenfall ist inzwischen nicht nur eine Chance, sondern ein Industriezweig geworden: die Vertreter des IDW erreichen auf You Tube-Kanälen wie „The Joe Rogan Experience“, „Rubin Report“ oder „Rebel Wisdom“ ein Millionenpublikum und stellen beiläufig bisherige Annahmen über das Zuschauerverhalten auf den Kopf. Unfreiwillig unterstützend fungieren dabei viele Mainstream-Medien, die der Gruppe durch Dämonisierung noch mehr Zulauf bescheren. So fragte die „New York Times“ einmal, ob man „diesen Häretiker zuhören dürfe“, was nicht nur ideengeschichtlich tief blicken lässt, sondern nebenher aus einem Kampfsportler und Fear-Factor-Host wie Joe Rogan eine der einflussreichsten Medienfiguren der Gegenwart gemacht hat. Dies wohlgemerkt allein dadurch, dass er in der Rolle des „Regular Joe“ ohne journalistisches Konzept oder einen festen Fragenkatalog ein Endlosgespräch mit seinen Gästen führt.
Der Erfolg des IDW hängt ganz entscheidend von der Art und Weise der Diskussion sowie den behandelten Themen ab. Nahezu alle Denker zeigen eine enorme Bereitschaft zu assoziativem, holistischem Denken über akademische Fachgrenzen hinaus, neben der Breite geht es gerne auch mal in die Tiefe von Themen wie Identitätspolitik und Political Correctness, Paläo-Diät, Psychedelika, Bitcoin oder den Prozess der Selbstwerdung bei C.G. Jung. Es sind nicht zufällig oft Themen, die im Mainstream nur selten in dieser Tiefe behandelt werden, was zeigt, dass ein Ideenmarkt eben dann am attraktivsten ist, wenn die getauschte Ware ungleichartig ist. Gleichartiges zu tauschen, wie etwa einen Geldschein - macht keinen Sinn. Nach diesem Prinzip werden orthodoxe „Debattenräume“ jedoch heute gerne gestaltet, man sieht es beispielhaft an Sendungen wie „Neo Magazin Royal“ von Jan Böhmermann, wo der Talk mit den Gästen geringe Erwartungen an Überraschungen weckt.
Das Intellectual Dark Web ist zu dem Ort geworden, wo heute der Poppersche „Kritische Rationalismus“ am breitenwirksamsten praktiziert wird, der in etwa aussagt:
„Ich weiß es nicht, du weißt es nicht, aber zusammen nähern wir uns vielleicht etwas, was man Wahrheit oder Erkenntnis nennen kann.“
Erkenntnisgewinn als Reise; Protagonisten, die sich als Seilschaft bei einer intellektuellen Höhenkletterei verstehen und den Zuschauer dabei nicht bevormunden – offenbar fehlte ein solches Format in Zeiten von Proporzdenken und scripted reality und stillt eine Sehnsucht des Publikums.
Wann war Intellektualität zuletzt so sexy?
Der Erfolg der Sendungen zeigt: Das Bedürfnis an intellektuellen Inhalten, die argumentativ fundiert und unterhaltsam sind – was einen gewissen Resonanzboden an klassischer Bildung voraussetzt –, ist weitaus höher, als von vielen Medienmachern in den Rundfunkanstalten angenommen wird. Die stellen sich ja häufig auf dem Standpunkt, man dürfe das Publikum in Sachen Komplexität nicht überfordern. So geben sie sich zuschauernah, in Wahrheit praktizieren sie eine subtile Form von Zynismus. Das Publikum ist für sie bloß eine Ansammlung aus kleinen Kindern, die belehrt werden sollen (und wollen).
Damit Neues entsteht, braucht es seit jeher Polarität. Die Vernetzung von Debattenräumen ist in Zeichen des Internets jedoch nie wirklich geglückt, sondern hat zur Ausbildung von Echokammern und tribalistischen Armeen der Denkbevormundung geführt. Das IDW nährt die Hoffnung, dass eine neue Form der Erkenntnissuche durch mehrschichtige Erklärungsmuster massentauglich sein könnte. Der integrale Denker Ken Wilber sieht im IDW sogar eine neue Evolutionsstufe des Ideenaustausches, die sich von ideologischen Grabenkämpfen und starren Denkschemata der direkten Nachkriegsära löst und zugleich die Fehlentwicklung des egalitär-relativistischen Postmodernismus begradigt. Ob das gelingt, wird sich freilich noch zeigen müssen. Das Schlimmste, was dem IDW passieren könnte, wäre, nur ein Fanlager oder Sammelbecken von sturen Kontrariern zum Mainstream zu sein und das Spiel „Amtskirche vs. Sekte“ zu wiederholen.
In der Ideengeschichte mussten marginalisierte Denker ihre als gefährlich eingestuften Ansichten oft verklausulieren oder in Rückzugsorte retten. Der Historiker Martin Mulsow („Prekäres Wissen“) bezeichnet es als „Harpokratismus“, wenn der Weise auf Angriffe schweigt und sich zurückzieht. Das IDW ist maximal anti-harpokratisch, da es marginalisierte Ansichten aus engeren Debattenräumen von Akademien oder Medien in den breitestmöglichen des Internets verlagert hat, was beweist, dass Zensur und Deplatforming in heutigen Zeiten ein Bumerang sind. Das IDW ist dabei kein Rachefeldzug der Geschmähten, sondern fordert Strukturen und Institutionen heraus, die ihrer ureigenen Aufgabe nicht mehr nachkommen: für eine echte Vielfalt von Positionen zu sorgen.
Hier schließt sich der Kreis zu Mozart: auch dem marginalisierten „Geheimbund“ der Aufklärer in der Zauberflöte geht es letztlich nur um Zugang zu Erkenntnis und Instruktion durch Vorbild, wenn es in der Arie des Sarastro heißt: „In diesen heil´gen Hallen kennt man die Rache nicht.“
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Die Untauglichkeit des Rechts-Links-Schemas wird ja auch dadurch manifest, dass eingebildete Linke (mit brüchigem bis abwesendem Bildungs- und Geschichtsfundament) mit rechtsextremen Methoden vermeintliche Rechte jagen, die in Wahrheit die Old-School-Linken sind. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt ...
Sehr guter Text!