Liebe Intellektuelle, gibt es euch noch?
Wer in der Krise nur die offiziellen Verlautbarungen nachbetet, ist scheintot im Denken. Eine Abrechnung zur geistigen Situation der Zeit. Kolumne.
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Liebe Intellektuelle: wo seid ihr gerade? Ihr sonst so mutigen Kritiker, Nachtarbeiter, Salonprovokateure und Geisteselite. Habt ihr euch freiwillig in intellektuelle Quarantäne begeben? Man hört euch kaum. Und wenn man euch hört, fragt man sich, in welcher Welt ihr lebt. Ihr klingt so staatsmännisch und offiziös. Hat euch ein Virus das Denken vernebelt? Lebt ihr noch?
Im Land der Dichter und Denker ist gerade Schmalhans Küchenmeister oder wie Herr Söder mit seiner Kaffeetasse sagen würde: „Winter is coming“. Aus dem Kreis der Intellektuellen vernimmt man gerade nichts, was wesentlich von der offiziellen Wahrheit des großen Pandemie-Orchesters abweicht. Wir erleben gerade eine Selbstverzwergung, eine Bankrotterklärung des Denkens. Eine grassierende intellektuelle Verwahrlosung. Was ist los mit euch?
Ihr habt euch den Spielregeln des offiziellen Diskurses ergeben. Wähle dein Lager! Bist du für oder gegen die Regierung? Doch schon eine Kritik, die nur kosmetisch ist, braucht niemand. „Eine von vornherein gezähmte Kritik, die sich innerhalb der kraft Herrschaft gesetzten Ordnung hält, ist entbehrlich“, meinte einst Ralf Dahrendorf. Nicht mal an diese Grenze der Subversivität schafft ihr es noch. Oder kommt da noch was?
Der Geistesathlet Deutschlands, Peter Sloterdijk, kommt gerade über ein dürres Kritiker-Bashing nicht hinaus. Für ihn sind „Querdenker“ die Kleriker des 17. Jahrhunderts, welche die Erdrotation leugnen und sich nicht vorstellen können, dass die Erde um die Sonne kreist, meinte er vor kurzem in einem Interview. Es gelte als Tatsache, dass Millionen Menschen durch das Virus schwere Schäden davontragen. Sloterdijk weiß genau, wie unfähig die menschliche Psyche darin ist, Gefahr und Risiko zu unterscheiden. Aus diesem Grund hat man ja Statistiken. Laut WHO liegt die Mediansterblichkeit „an oder mit“ Covid bei unter 0,3%. Bei den unter 70-jährigen sind es 0,05%. Das sind fünf von 10 000 Infizierten.
Fragt sich da nur: Um welche Achse rotiert gerade Sloterdijk?
Er scheint schon nicht zu verstehen, dass selbst diejenigen, die mit den offiziellen Zahlen der WHO argumentieren, zu den Covidioten zählen, während die Politik und ein Großteil der Medien mit der Feuerwalze der Panikmache eine Schneise durchs Land ziehen. Ach übrigens: War es am Ende nicht der Zweifler Galilei, der gegen die kirchlichen Autoritäten Recht behielt?
Sloterdijk und ein Richard David Precht standen noch nie so nahe zusammen wie jetzt. Allein das muss verwirren. Precht meint, dass der Bürger in der Krise zwar seine Meinung haben, aber letztlich doch zu funktionieren habe, wie das offiziell verlangt sei. Und das sei immerhin bei 85% gerade der Fall. Dass Kritik und Ungehorsam etwas miteinander zu tun haben könnten, fällt ihm nicht ein. Und wenn, dann ist es immer nur im Rückspiegel richtig gewesen. Gunnar Kaiser hat Prechts Worte mal künstlerisch in das Setting des Films „Das Leben der Anderen“ transferiert. Es fröstelt einen dabei.
Was Precht und Sloterdijk verlautbaren lassen ist eine klebrige Mischung aus Uninformiertheit und medial beeinflusstem naiven Realismus. Für den Denker sollte es nicht nur eine Welt hinter der „offiziellen Wahrheit“ geben, diese sollte die eigentliche Welt der Intellektuellen sein. Der Bürger braucht für sein Informationsbedürfnis keine Hilfskräfte des Regierungssprechers mit philosophischen Doktortiteln. Egal ob sie undeutlich tiefgründig oder klar seicht sprechen.
Aus dem offiziösen Gehabe von Sloterdijk und Precht spricht die arrogante Selbstsicherheit, sicher auf der „richtigen Seite zu stehen“. Es ist die wohlige Lagerfeuerwärme des großen „Pandemie-Wir“. Vorsicht, ihr steht etwas nah an der Flamme. Versengt euch nicht euer hübsches Haupthaar! Nur zur Erinnerung: Ihr folgt gerade einem Tierarzt vom RKI, einem Virologen, der schon bei der Schweinegrippe maximal daneben lag und einem Bankkaufmann.
Das tröstlichste Buch in dieser geistigen Lage ist mir gerade Nietzsches Zarathustra. Zwei Stunden Lektüre sind wie ein Peeling, bis aufs Blut. Es entfernt tote Denkreste.
„Rückwärts blicken sie immer nach dunklen Zeiten: da freilich war Wahn und Glaube ein ander Ding; Raserei der Vernunft war Gottähnlichkeit, und Zweifel Sünde“
und
„Ich diene, du dienst, wir dienen – so betet alle anstellige Tugend hinauf zum Fürsten: dass der verdiente Stern sich endlich an den schmalen Busen hefte.“
Und jetzt liebe Intellektuelle: husch, husch, alle in den Schoß von Mutti. Und nicht vergessen: Bitte schon bei Halskratzen in Quarantäne gehen, wie es Onkel Drosten empfohlen hat. Aber passt gut auf, dass aus eurem Corona-Winterschlaf nicht euer intellektuelles Totenbett wird.
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"Husch, husch in den Schoss von Mutti" trifft es gut - wir erleben die massenhafte Infantilisierung der Menschen, deren Stresserleben unseres (das der Kritiker) noch bei weiterm übertrifft, weshalb sie in einen Kindmodus regredieren (schematherapeutisch gesprochen). Da dieser Stress uneingestanden ist, ist ihnen im Moment leider auch psychotherapeutisch nicht zu helfen - so lange sie im Kindmodus bleiben, sind sie allerdings teils gefährlich, da sich kindliche Wut, kindlicher Trotz und kindliche Unvernunft leider gegen die wenigen resilienten Vernunftbegabten richten. Im Kindmodus ist man auch nur wenig fähig zur Metakognition (über sich selbst nachdenken), zur Perspektivenübernahme (über andere nachdenken), zum Abschätzen von Konsequenzen (was das alles für Auswirkungen haben wird), zum komplexen und multifaktoriellen Denken (wie wir verschiedene Faktoren, bspw. Wirkungen und Nebenwirkungen der Massnahmen, wahrnehmen und gewichten sollten), und auch Empathie und Fürsorge gehen verlustig zu Gunsten einer kindlich-egozentrischen Einschränkung der Perspektive auf die eigenen Probleme und Bedürfnisse. Wir Kritiker bleiben hingegen mehrheitlich, erstaunlicherweise, in einem Zustand, den Schematherapeuten den "gesunden Erwachsenen-Modus" nennen: Wir behalten den Überblick, wir versuchen logisch zu denken und die Faktenlage vollumfänglich wahrzunehmen, und vor allem: wir versuchen unserem Gegenüber weiterhin verständnisvoll und fürsorglich gegenüberzustehen und bieten immer wieder den Dialog an - und dies, obwohl uns die Infantilisierten, mit Verlaub, immer wieder ans Bein pissen. Tja, was soll man noch machen. Hoffnung gibt mir der Gedanken, dass es "das Böse" nach meiner festen Überzeugung und meiner Erfahrung als Psychotherapeutin nicht gibt. "Das Böse" im Menschen ist immer nur die Abwesenheit des Lichts (weltlicher ausgedrückt: Menschen unter emotionalem Stress regredieren wie beschrieben in primitivere, kindlichere Modi, wo sie dann zu höheren menschlichen Werten wie Empathie und Fürsorge kaum mehr fähig sind - es fehlen ihnen schlicht die Ressourcen, da der eigene emotionale Schmerz behoben werden will und sich als dringliches Anliegen in den Vordergrund der Psyche schiebt; wenn der Schmerz dann noch abgespalten oder geleugnet wird, bleiben diese Menschen leider stecken und finden aus dem dysfunktionalen Modus nicht wieder hinaus). Aber die Abwesenheit von etwas, letztlich die Abwesenheit von Liebe, ist keine Entität, keine Bedrohung, die es aktiv zu bekämpfen gilt. Vielmehr sollten wir uns, wie schon vielfach erkannt, auf diese Abwesenheit von Liebe, diese Leere, konzentrieren, und sie füllen. Nehmt sie ernst, die Kindgewordenen, auch wenn sie gerade ausser Rand und Band sind - sie können es im Moment nicht besser. Wenn wir sie beschützen, schützen wir die Menschheitsfamilie.
Die Mär von der "Verschwörungstheorie" hat offenbar den Geist selbst der "Intellektuellen" so vernebelt, dass sie die darin enthaltenen Denkverbote als solche nicht wahrhaben wollen. Es widerstrebt ihnen, die allzu liebgewordene Verlässlichkeit und Ordnung unseres Systems komplett in Frage zu stellen. Die Maßnahmen erscheinen ihnen wissenschaftlich- rational ausreichend begründet und nachvollziehbar, warum sollten sie also Zweifel hegen? Wegen ihrer Verhältnismäßigkeit etwa, einem rein quantitativen, aber nicht qualitativen Aspekt? Viel hilft viel, basta!
Vor allem Menschen, die selbst weder Kinder, noch Enkelkinder haben, noch in ihrer Existenz bedroht sind, noch von Einsamkeit oder Depression geplagt, empfinden die aktuelle Situation zwar mehr oder weniger als lästig, aber verkraftbar.
Wem nicht gleich zu Beginn der Krise intuitiv Zweifel und Bedenken an der einpeitschenden Verkündungsrhetorik der Medien kamen, als uns rein kumulative und absolute Zahlen serviert wurden, der hat offenbar auch später nichts begriffen oder begreifen wollen. Auch nicht, als Schwedens alternativer Weg aufhorchen ließ. Leider erschöpft sich dessen soziale Solidarität und Kompetenz im Einhalten der "AHA"-Regeln, statt sich ernsthaft Gedanken um die gesellschaftlichen Auswirkungen für die weniger Privilegierten und für die Kinder zu machen; die zynisch so genannten "Kollateralschäden" eben.
Solidarisch- moralische Betroffenheit würde aber heißen, von seinem hohen Ross herabzusteigen und kritische Fragen zu stellen, die den Fragenden jedoch sofort zum Opfer etablierter Verachtung werden lassen, zum "Eckensteher" und Ausgeschlossenen.
Solange man diesen ganzen Alptraum in seiner Eigenheimidylle jedoch weitestgehend ausblenden kann, "Augen zu und durch", bis er eben aufhört und man wieder reisen kann.....
Eine überheblich- privilegierte Verdrängung eben; Gewissensbisse fehl am Platz!
Danke Ihnen Herr Matuschek und auch Herrn Gunnar Kaiser für Ihre philosophische Unterstützung meiner rebellischen Grundhaltung, auch in diesen schwierigen Zeiten!