Wie entsteht Urteilskraft?
In Zeiten größtmöglicher Verwirrung wird die Fähigkeit zum klaren Denken zu einem Überlebenstool.
„Was keiner wagt, das sollt ihr wagen.
Was keiner sagt, das sagt heraus.
Was keiner denkt, das wagt zu denken.
Was keiner anfängt, das führt aus.“
Es sind doch immer wieder Lieder, die zur richtigen Zeit den richtigen Nerv treffen und einen ganz auf ihre Vibration einzustimmen vermögen. In den letzten Jahren war das für mich immer wieder dieses Gedicht des Theologen Lothar Zenetti, das von vielen Künstlern, u.a. Konstantin Wecker und Reinhard Mey, interpretiert wurde. Es ist eine Hymne auf den Eigensinn mit der unmissverständlichen Aufforderung, doch im Moment größter Verlassenheit auf die innere Stimme zu hören und danach zu handeln. Was die Mehrheit macht, ist eher als Kontraindikator einzustufen. Offenbar ist die Fähigkeit selbst zu denken, gerade wenn die Mehrheitsmeinung in eine andere Richtung weist, ein seltenes Phänomen; eher die Ausnahme als die Regel. Sonst bräuchte es keine Hymnen darauf. Warum ist diese Fähigkeit von so großer Bedeutung?
Wer nicht denkt, macht sich zum Objekt
Selbst zu denken ist eine Anmaßung. Wir kennen den Satz: „Da maße ich mir jetzt kein Urteil an.“ Das klingt nach Bescheidenheit, vor allem wenn die notwendigen Informationen fehlen. Wie oft ist es aber das Gegenteil, nämlich Denkfaulheit? Ein Zurückschrecken vor dem, was die Konsequenz des Denkens sein könnte, nämlich zu ungemütlichen Schlüssen zu kommen? Vielen scheint es schwer zu fallen, ohne Hilfe eines anderen zu irgendeinem Schluss zu kommen, der dann ja wiederum gar kein Schluss ist, sondern nur die Übernahme einer fremden Ansicht. So entsteht eine blinde Gefolgschaft, die den Menschen zum bloßen Objekt degradiert. Es ist gleichwohl eine Degradierung, die man selbst in der Hand hat, über die man selbst – durch Untätigkeit – entscheidet.
Die Fähigkeit zum Selbstdenken macht den Menschen aus, sie unterscheidet ihn vom Tier. Diese Erkenntnis gab schon Cicero in seiner Schrift „Über die Pflichten“ seinem Sohn mit auf den Lebensweg. Der Mensch ist mit Vernunft begabt und damit fähig „die Folgen zu erkennen, die Ursachen der Dinge einzusehen, Ähnlichkeiten zu vergleichen, an gegenwärtige Dinge zukünftige anzureihen und anzuknüpfen, den Lauf des ganzen Lebens zu begreifen und die zur Führung desselben notwendigen Bedürfnisse vorzubereiten.“ Denn dem Menschen ist das Aufspüren der Wahrheit eigentümlich, so Cicero weiter. Was wahr, einfach und lauter ist, ist der menschlichen Natur am eigentümlichsten.
Wie entsteht jedoch dann die Situation, dass diese natürliche Fähigkeit gestört zu sein scheint, dass ihr Hindernisse im Weg liegen? Der britische Denker Francis Bacon („Wissen ist Macht“) hat darauf in seinem „Novum Organum“ die Antwort gegeben, dass der menschliche Geist ständig Ablenkungen und Verfälschungen ausgesetzt ist, sogenannten „Idolen“. Diese können in einem selbst angelegt sein, im Beruf und in in der Ausbildung, die einen zu einer „déformation professionelle“ anhalten; in der modernen Psychologie würde man von Verzerrungen und Heuristiken sprechen. Weitere Ablenkungen können durch die Gruppe, die Mehrheitsmeinung, die Art, wie Sprache das Denken verfälscht oder durch Dogmenbildung und Tabus entstehen.
Der Weg zur Erkenntnis ist demnach mit zahlreichen Hindernissen gepflastert, deren Überwindung nur wenigen gelingt. Dies ist heute umso schwieriger, denn die Schwachstellen des menschlichen Geistes sind gut erforscht und den Machthabern bekannt. Sie bespielen die Klaviatur der Denkfehler und können so mit falschen Anreizen den Menschen in eine bestimmte Richtung „stupsen“, oder „nudgen“. Zahlreiche Regierungen arbeiten mit eigenen Nudging-Abteilungen an der Manipulation ihrer Bürger. In der Pandemie erlebten wir, wie Menschen mit der Aussicht auf eine Bratwurst, Fast Food oder sogar einen freien Bordellbesuch zur Impfung gedrängt werden sollten. Im Kampf gegen sogenannte „Impfgegner“ waren Geheimdienste bereits involviert, als es noch nicht mal einen Corona-Impfstoff gab.
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