"Brain Damage" in Germany: Lasst Roger Waters singen!
Die Cancel Culture in Deutschland nimmt absurde Züge an. Noch erschreckender ist nur noch das Schweigen der Künstler.
„Mother should I run for president?
Mother should I trust the government?"
(„Mother“, Roger Waters)
Auftrittsverbot für Roger Waters in Frankfurt am Main. In Deutschland wird gerade ein Teil von Pink Floyd gecancelt. Wer hätte sich das noch vor ein paar Jahren ausmalen wollen? Wenn es noch einen Beweis brauchte, dass auf der Welt eine immer krasser freidrehende Zensur-Unkultur ihr Unwesen treibt, hier ist er. Wie heißt es so schön auf der ikonischen Platte „The Dark Side of the Moon“, einem der meistverkauften Alben der Musikgeschichte: „The lunatics are in the hall." Die Geisteskranken sind im Saal. Brain Damage in Germany.
Wenn heute jemand öffentlichkeitswirksam gecancelt wird, geht es immer um die tieferliegende Frage: Was steckt wirklich dahinter? Roger Waters war nie ein Künstler, der mit seiner Meinung zu aktuellen Themen hinterm Berg gehalten hat. Kaum einer hat mit solcher Inbrunst Julian Assange verteidigt, den in einem Hochsicherheitsgefängnis in Großbritannien dahinsiechenden Aufdecker und Wikileaks-Gründer. Wie jeder Freidenker kämpft er gegen Dogmen, ob ideologische oder religiöse, das tut er auch seit Jahren in seiner Bühnenperformance. Ihm daraus einen Antisemitismus-Vorwurf zu stricken, weil er Israelkritik übt, ist so offensichtlich daneben wie lächerlich. Man schaue sich lieber mal den Justizumbau näher an, den Benjamin Netanyahu gerade vorantreibt.
Cancel Culture als Machtprobe
Das Absagen von Konzerten ist die spätdemokratische Version des „Verschwindenlassens“ von Unliebsamen in totalitären Staaten. Es ist ein reines Machtspiel. Man gewinnt politische Streitfragen nicht mehr durch das bessere Argument, die Auseinandersetzung, die Vertiefung oder die Analyse. Man gewinnt, indem man den Gegner beseitigt. Seit Jahren geht bildlich gesprochen ein wokes Erschießungskommando durch den Kulturbetrieb und profiliert sich durch das Wegretuschieren immer prominenterer Künstler. Mal ein Kabarettist hier, mal ein Buch da, man testet die eigene Macht und noch mehr die Ohnmacht der anderen. Von deutschen Künstlern hat man zur Causa Waters wieder mal nichts gehört. Ein Grönemeyer will lieber vom Mainstream interviewed werden, als sich mit ihm anzulegen. Der Pseudopunk der Republik, Campino von den Toten Hosen, gefällt sich im Spätherbst seiner Karriere als Wachsfigur im Smoking auf Staatsbanketten.
Roger Waters steht für Musik mit Botschaften. Das wohlgemerkt in einer Zeit, in der noch die kleinste Botschaft aus jedem Kulturprodukt gespült wird, und sei es durch stupide Monotonie oder Verflachung. Das ist sein „Vergehen“. Seine Lieder handeln von Machtmissbrauch, von Krieg, von Indoktrination („We don`t need no education“), von der Mechanisierung des Lebens in einer immer technokratischer werdenden Welt. „Is this the life we really want?“, fragt Roger Waters in einem seiner Songs. Es ist die wohl ketzerischste Frage in einem System, welches davon lebt, jede Alternative im Keim zu ersticken. Systemkritik in der Kunst war mal Mainstream, heute ist sie subversiv. Gefeiert werden im Mainstream hingegen die kruden Thesen von megalomanen Gesellschaftsklempnern und Oberlehrern, wie Yuval Noah Harari, der als Lektion für das 21. Jahrhundert Sätze wie diesen bereithält:
„Rückblickend betrachtet wird die Menschheit nichts weiter gewesen sein als ein leichtes Kräuseln im großen kosmischen Datenstrom“.
Im Kulturkampf der Cancel Culture ist Roger Waters so etwas wie die größtmögliche Trophäe. Er ist der prominenteste Kopf einer Gegenkultur oder Counterculture, die den Systemkampf noch mit künstlerischen Mitteln führte und die Veränderung der Gesellschaft zum Ziel hatte, statt um ein paar Likes auf Instagram zu buhlen. Wenn Roger Waters gecancelt wird, geht es auch um den Angriff auf eine künstlerische Tradition, die mit den Reformbewegungen des frühen 20. Jahrhunderts begann und im Studentenprotest gegen den Vietnamkrieg kulminierte. In Pink Floyd steckt auch ein Stück des Tessiner Monte Verità. Cancel Culture gegen Counterculture ist nichts anderes als eine Uniformitätsbewegung gegen Reformbewegungen. Oder anders gesagt: „Das Imperium schlägt zurück.“
Konkurrenz für Technokraten
Die Unkultur der Uniformität braucht die Auslöschung des Alten. Deshalb ist Cancel Culture immer auch ein Gedächtnismord. Wer cancelt und Kultur vernichtet, schafft Bezugspunkte ab. Wo Bezugspunkte fehlen, stellt sich Orientierungslosigkeit ein. Man will die Botschaften der Kunst aus den Köpfen eliminieren, sie vergessen lassen. Dann haben die seichten Botschaften der neuen Ideologie mehr Platz. Die “Reformbewegung” der Stunde ist die Technokratie, die den Menschen als „hackbares Lebewesen“ betrachtet, als Computerprogramm, in welches man eindringen kann, um es zu manipulieren. Kunst, die sich frei entfaltet und Botschaften vermittelt, ist aus der Sicht der Technokraten nichts anderes als Konkurrenz, die verschwinden muss.
Der freie Künstler, der sich nicht von der Macht manipulieren oder steuern lässt, ist eine absolute Ausnahmeerscheinung. Er war es schon immer und wurde deshalb schon immer bekämpft. Aus der Sicht der Mächtigen sind Künstler eine bloße Verschiebemasse, im Idealfall eine Form von politischem Influencertum. Heute wissen wir, wie stark die CIA die Presse infiltrierte („Operation Mockingbird“) und einst die europäische Literatur- und Intellektuellenszene unterwanderte („Kongresse für kulturelle Freiheit“).
Selbst Heinrich Böll machte willfährig mit. Warum sollte das heute anders sein? Der zensurindustrielle Komplex ist heute stärker denn je. Seit den Twitter-Files wissen wir, wie man unliebsame Stimmen auf sozialen Netzwerken verschwinden lässt, auch wenn (oder gerade weil) sie die Wahrheit sagen. Es ging nie um Fake News und Desinformationsbekämpfung. Das sind nur die Etiketten, die man braucht, um Zensur salonfähig zu machen.
Roger Waters wird man nicht so schnell verschwinden lassen können. Der Druck wächst. Die Stadt München hat das Konzertverbot bereits zurückgenommen. Gegen das Verbot in Frankfurt am Main wird geklagt. Deutschland macht sich zum Gespött der Welt, wenn es autokratischen Regimen Nachhilfeunterricht in Sachen Menschenrechte und Demokratie geben will und gleichzeitig den Mitgründer von Pink Floyd verbietet. Man muss deren Texte von damals heute wohl als Aufforderung zur „Republikflucht“ lesen:
„Run like hell!“
Dieser Text erschien auch in der Weltwoche.
Hinweis: Der Autor dieser Zeilen unterliegt einem Interessenskonflikt, den er hiermit offenlegen will: Er hat Karten für das Konzert von Roger Waters in Hamburg!
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"We don't need no education" und "We don't need no thought control". Die Frage ist halt schon, ob nicht "no education" als Folge sehr viel "thought control" mit sich bringt und ob das nicht mit ein Grund ist, dass die gleiche Generation, die sich einst als Freiheitskämpfer gebärdet hat nun jeder Ideologie hinterherrennt, die auf Freiheitseinschränkung abzielt. Jedenfalls scheint sich der Zerfall des Bildungswesens mit der Bereitschaft, sich bevormunden zu lassen, zeitgleich zu entwickeln.
Ich weiß nicht, ob ich damit allein bin. Aber warum stellt niemand fest, dass wir längst in einem totalitären System leben? Es wird nur schlimmer!
Ich sage es hier für alle zum Mitdenken: Die Insignien totalitärer Systeme in unserem Land werden täglich mehr! Das Narrativ der "freien Demokratie" ist nichts anderes als eben das: ein Narrativ. Mit der Attischen Demokratie Griechenlands hat das nichts zu tun. Wer sich dort ein bisschen auskennt wird schnell schlußfolgern, dass die Griechen unser System als Tyrannei klassifiziert hätten.
Wird der allfällige finanzielle Kollaps des Systems hier die Chance zur Freiheit bieten? Eher nicht, die Dikatur wird dann zementiert. Es werden viele Menschen darin sterben.