Ich hatte Ihnen vor einiger Zeit die Frage gestellt, wie man andere Menschen zum Aufwachen bringt und welche Rolle Mut dabei spielt. Gerne können Sie mir weiter Ihre Einschätzung dazu senden: kontakt@idw-europe.org!
Einen hohen Anteil an meinem eigenen Aufwachensprozess hatte (neben ein paar Gramm feinstes “Jack Herer” Indoor) der Psychologe Professor Rainer Mausfeld, dessen Vortrag “Warum schweigen die Lämmer?” ich ca. 2016 gesehen habe und der mein Weltbild in Sachen Demokratie so gründlich durcheinander gebracht hatte, dass mich mein Weg letztlich aus dem Mainstream herausführte. Das System fing an mich auszuscheiden, erst langsam, dann brüsk. Auch das Gespräch mit Ken Jebsen ist sehr sehenswert. Sein neuestes Buch kann man als kulturanthropologische Untermauerung seiner Thesen aus dem Vortrag lesen. Es ist keine leichte Kost, aber man bekommt einen Perspektivwechsel mit, den man so leicht nicht widerlegen kann. Kann ein Autor mehr erreichen? Hier noch ein weiterer neuerer Vortrag, mit vielen weiterführenden Gedanken:
Wenn Kommunismus, wie Brecht mal sagte, „das einfache ist, das schwer zu machen ist“, was ist dann die Demokratie? Mit Mausfeld müsste man sagen: Es ist das schwierige, das sich zudem nur im Ausnahmefall einstellt, aber für das es immer wieder zu kämpfen lohnt. Und zwar selbst dann, wenn kaum mehr Hoffnung besteht.
Man hatte seit den 90-er Jahren viel vom „Ende der Geschichte“ gehört, dem finalen Sieg der Demokratie über alle andere Systeme. Tatsächlich war das ein Pyrrhus-Sieg. Mausfeld, ein Kieler Kognitionspsychologe, der durch zeitkritische Vorträge wie „Warum schweigen die Lämmer“ Bekanntheit erlangte, setzt dem Ende der Geschichte eine Kulturanalyse der Demokratie entgegen, die sich am Thema der Entartung von Macht orientiert. Er streift dabei auch Stammes- und Herdenstrukturen, die Herrschaftsstrukturen von Ägyptern, Römern, Griechen bis zur korporatistischen Demokratie heute. Im Kern geht es um die Frage, unter welchen Umständen echte Demokratie gelingen kann und wie sie die Zeit überlebt.
Demokratie wird schnell zur Farce, weil ihr aus dem Innern selbst ein Ungemach droht, welches ihr Ideal letztlich zerstört. Es wohnt der Demokratie sozusagen eine irreparable Unwucht inne. Diese besteht darin, dass eine formelle Gleichwertigkeit der Stimme (one man one vote) stets mit der Ungleichheit der Mittel kollidiert, mit der sich Reichere letztlich Stimmen kaufen – oder Abstimmungen anderweitig beeinflussen können. Die Demokratie scheitert damit immer an der tatsächlichen Macht und die ist im Kapitalismus eine ökonomische, auf wenige konzentrierte Macht. Mausfeld schlägt viele kapitalismuskritische Töne an (die man mögen kann oder auch nicht), seine Kritik steht jedoch in der Denktradition eines Solon, der in der Eunomia-Elegie bereits die pleonexia, das krankhafte „Mehrhabenwollen“ als Grundübel beschreibt. Echte Demokratie ist damit letztlich nur unter Gleichen möglich, ein monetäres Gefälle ist oder wird letztlich immer zu einem Machtgefälle.
Anspruch und Realität der Demokratie heute klaffen bei Mausfeld dementsprechend massiv auseinander. Repräsentativ ist die Demokratie für ihn eher in dem Sinne, dass sie die Interessen der Ober- oder Besitzschicht widerspiegelt. Letztlich bestehen keine wirksamen Schutzplanken, um den demokratischen Prozess von Fremdeinflüssen freizuhalten. Die Demokratie wird zur leichten Beute für alle möglichen Einflüsse, Agenden, Stichwortgeber und Anreiz-Streuer. Am Ende hat eine besitzende Klasse eher ein Interesse daran, die nicht-besitzende Klasse von der Entscheidungsfindung auszuschließen, denn eine Mehrzahl der Habenichtse kann schnell auf die Idee kommen, „ganz demokratisch per Mehrheit“ die Besitzenden zu enteignen. So wird aus dem schleichenden Tod der Demokratie ein langes Überleben als Elitenherrschaft in demokratischer Fassade. Hinzu kommen in der Neuzeit noch alle möglichen Formen von Dissensmanagement, mediale und propagandistische Manipulation sowie Entmutigung des Souveräns, sich überhaupt als souverän zu betrachten.
Wiener aufgepasst: 15.05. Gesprächsaufzeichnung mit Petra Führich (incl. 3-Gänge-Menü). Begrenztes Kartenkontingent.
Alle Lesungen immer unter: www.tinyurl.com/Lesung-Matuschek (neue Termine im August in Kürze: Köln, Kassel, Rostock, Kyritz, Berlin…)
Mit diesem Buch geht es an Grundfesten: Mausfeld steigt mit „Hybris und Nemesis“ aus dem Schützengraben der zeitgenössischen Demokratiekritik und stützt seine Analyse auf die Konstanten der menschlichen Psychologie und Anthropologie im Lichte der Geschichte. Man erwarte mit diesem Buch keinen schmissigen zeitgenössischen Essay, sondern eher eine gelehrte, kulturhistorische Abhandlung in Anlehnung an die fünftausendjährige Geschichte der Schulden eines David Graeber. Diese allerdings kann man an beliebigen Stellen aufschlagen und erfährt dann nicht nur Erhellendes (und Schonungsloses) über den Zustand der Demokratie, sondern auch zeitlos Gültiges über die Natur des Menschen. Denn letztlich kann keine Ordnung aus dem Menschen, wie er ist, etwas anderes machen. Auch jede sozialistische Neuordnung scheitert daran immer wieder. Jedes System hängt an der Natur des Menschen und damit in der Haut fest, aus der niemand rauskann: unserer eigenen.
So stellt sich am Ende die Frage: Kann man die Demokratie ändern, ohne den Menschen zu ändern? Und würde letzteres überhaupt Sinn machen?
Rainer Mausfeld, Hybris und Nemesis. Wie uns die Entzivilisierung von Macht in den Abgrund führt – Einsichten aus 5000 Jahren. Westend-Verlag 2023 510 S., 36 Euro/51.90 SFr. Die Rezension erschien auch in der Weltwoche.
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Nicht nur die " alten Griechen", die bekanntlich einzige kluge Leute in ihren Reihen hatten, auch ein gewisser Kenneth Minogue ( und andere) haben sich mit der Staatsform Demokratie befasst. Mit vielen zutreffenden Ansätzen. Wobei anzumerken ist, dass sich auch unter diesem Begriff viele und auch unterschiedliche Ausprägungen versammeln. Ob es sich hier um eine Demokratie handelt, ist bekanntlich auch eine Sache der Perspektive und der Definition. Dass diese Staatsform sehr gefährdet ist, war den alten Griechen bereits klar, die Gruende dafuer auch. Ihre Versuche, das Risiko zu minimieren, scheiterten, allerdings nicht nur deshalb, weil sie nicht funktionierte. Die Risiken liegen zum einen zwingend in der Staatsform selbst, damit duerfte sich auch Herr Mausfeld befassen, in der conditio humana allgemein, zum anderen aber auch in den jeweils durchaus unterschiedlichen Umstaenden und Bedingungen. Wer sich mit der Demokratie, der " richtigen" nach allgemeiner Lehre, befasst, und dann einen Blick auf dieses Land resp diese Gesellschaft wirft, wird neben den allgemeinen Risiken im Zusammenhang mit der Macht (der Einen ueber die Anderen) spezifisch deutsche, soziologische, kulturelle und psychische, feststellen. Die Bedingungen fuer das, was wir Demokratie nennen, koennten deutlich besser sein, wobei bereits der " Start" als nicht souveräner Staat unter der Hegemonie anderer mit speziellen Interessen und einem " entsprechendem" GG alles andere als demokratisch zielführend war und auch sein sollte. Das Parteiensystem bzw dessen unvermeidliche Entwicklung zum Kartell ist ein quasi natuerlicher Feind der Demokratie, das GG liefert im staatlichen Teil gewollt sehr wenig Brauchbares zum Schutz der Demokratie und die psychokognitive Verfasstheit des Deutschen Demos, der kein Souveraen sein will, dem es mehrheitlich an allen Voraussetzung zum politischen Handeln fehlt, vor allem bereits am politischen Denken, sind euphemistisch formuliert kontraproduktiv. Die "Anfälligkeit" oder das Bedürfnis der deutschen Gesellschaft, durchaus auch herbeikonditioniert, lassen eine substanzielle Demokratie oberhalb der Fassade, der Imagination und Inszenierung nicht zu. Das aktuelle "Spiel" entspricht immer noch den Präferenzen der Meisten und die regelmaessigem Wiederkehr des " linken" Totalitarismus als eine Art deutscher Meister ist kein Zufall. Es braucht lediglich geeignete und willige Vollstrecker, mehr nicht. Das eindeutig, mindestens autokratische Verhalten der " Mutti" stiess auf sehr wenig Skepsis, geschweige denn Widerstand. Und das immerhin 16 Jahre lang. Auch aktuell hat sich der Widerstand des "Demos" gegen die Transformation ins Totalitaere in sehr engen Grenzen. Die Institutionen, Justiz inklusive, sind erwartungsgemaess bereits besetzt. Es sieht danach aus, dass nicht nur die Demokratie als solches unter einer permanenten massiven Bedrohung steht, sondern in der deutschen Gesellschaft wenig echte Anhaenger findet. Unter der muslimischen uebrigens auch nicht.