Ein Bodybuilder hat mehr Durchblick als alle Intellektuellen
Niemand hat in der gegenwärtigen Krise so versagt, wie öffentliche Intellektuelle. Warum es Sinn macht, den gesunden Menschenverstand auf der Straße zu suchen.
Im Frühjahr 2020 tauchte das Video eines jungen Mannes in einem Muscle-Shirt im Netz auf. Es stammt von einer Demo in Kanada und was der «Gym Bro», so hieß er dann auf Twitter, in die Kameras zu sagen hatte, klingt aus damaliger Sicht verrückt und heute mehr als hellsichtig.
«Erst werden sie euch vorschreiben Masken zu tragen, dann Kontakte nachzuverfolgen, dann eine Impfung zu akzeptieren. Und danach wird man euch sagen, die Impfung funktioniert doch nicht so gut wie geplant, deshalb müsst ihr alle anderen Maßnahmen weiterhin befolgen und dann kommt ein Lockdown nach dem anderen, es ist ein unendlicher Kreis, aus dem ihr nie rauskommen werdet. Im Juli, August, September wird gelockert, nur damit danach der nächste Lockdown kommt. Seid ihr zu blöd das zu verstehen? Es ist eine Möglichkeit eure Rechte und Freiheiten zu nehmen, eure Geschäfte zu schließen, euch zu enteignen. Warum? Um euch abhängig zu machen. Warum? Wenn ihr unabhängig seid, arbeitet die Regierung für euch. Wenn ihr abhängig seid und Geld vom Staat bezieht, weil eure Geschäfte dicht sind, beherrscht euch die Regierung. Dann haben wir im Grunde eine Sklavenklasse. Es ist wirklich nicht kompliziert das zu verstehen.»
Verrat der Intellektuellen
Corona wird manchmal als Intelligenztest bezeichnet. Doch es ist vielmehr noch ein Test in gesundem Menschenverstand und basaler Skepsis gegenüber dem Staat. Die rationalen Schönschreiber und Schlausprecher der Gesellschaft: Sie lagen alle komplett daneben. Sie waren ein peinlicher Totalausfall. Sie haben 70 Jahre den Anfängen in Sonntagsreden gewehrt. Doch als die Anfänge kamen, haben sie die neue Normalität mit großem Hurra begrüßt. Eigentlich wie immer. Der Verrat der Intellektuellen in Sachen Corona ist ein irreparabler Vorgang. Wer gerade öffentliche Auszeichnungen verliehen bekommt, darf sich als Objekt einer Negativauslese betrachten.
Die Sloterdijks, die Navid Kermanis, die Richard David Prechts, die vielen TV-Philosophen, Leibnizpreisträger oder sonst wie ausgezeichneten inoffiziellen Staatsdiener: Sie haben in der ersten Prüfung versagt, während ein Typ im Muscle Shirt, der Kanadier Chris Sky, ohne viel Mühe wie der Nostradamus der Krise wirkt, obwohl er etwas sehr Einfaches gemacht hat. Er hat sich überlegt, was schlimmstenfalls alles vom Staat kommen könnte in einer solchen Krise und er kam beim Gesundheitsfaschismus raus.
Gerade reden wir über die Impfpflicht und noch immer kann sich keiner vorstellen, dass der Staat bald auch zur Enteignung schreiten könnte. Es ist wie bei einer Kuh, die zwar merkt, dass sie gemolken wird und das dreimal am Tag bis die Euter schmerzen; doch sie kann sich absolut nicht vorstellen, dass man ihr jemals auch ans Fleisch gehen könnte. Ernst Jünger schrieb hellsichtig in seinem Essay «Der Waldgang»: «Die Eigenschaft des Nutztiers zieht unweigerlich die Eigenschaft des Schlachttiers nach sich.» Es gibt Zeiten, da helfen keine Modellrechnungen von Panik-Wissenschaftlern, kein Blick ins Gesetzbuch und kein schlaues Geschwätz von Intellektuellen. Die wahren Krisenzeiten sind die, in denen man Denker der Antike wieder mit Gewinn liest, wo man Trost in Gedichten findet und Hellsichtigkeit in einem Gemälde.
Ich war viel unterwegs in den letzten Monaten: Kanarische Inseln, Panama, Costa Rica, Kolumbien, Mexiko. Ich bin nie mehr gereist als in Zeiten von Corona. Überall gibt es mehr oder weniger ein pro-Forma-Spiel rund um die Regeln. Man steht mit Abstand in der Schlange zum Flieger, nur um dann dort zusammengepfercht – alle Flieger waren stets maximal voll – mit Maske sitzend darauf zu warten, bis das Verpflegungsprogramm beginnt. Dann darf man nämlich die Maske absetzen, das Virus braucht schließlich auch mal Mittagspause. Aber nach dem Essen bitte gleich wieder aufsetzen, sonst droht eine Anzeige. Ich darf noch einkaufen, um Lebensmittel zu kaufen, wenn ich das Geld dazu habe. Wer obdachlos oder bedürftig ist, muss in Deutschland erst zur Spritzenkur, bevor er einen abgelaufenen Joghurt oder ein halbhartes Brot bei der Tafel zugesteckt bekommt – sogar die Mildtätigkeit hat man in Deutschland schon totalitarisiert. Die Ausstellung über Spaltung des KZs Buchenwald ist dank 2G auch nur für Geimpfte zugänglich. Ob da wohl irgendwer einen Aha-Moment haben wird?
Deutscher Rigorismus
Wenn ich Deutschland betrete, fühle ich mich, als wäre ich auf ein Kabel gestiegen, das einem sämtliche Energie absaugt. Zu sagen, dass kein Land autistischer mit Corona umgeht als Deutschland, wäre eine Beleidigung der Autisten. Doch die Deutschen leiden eben wie kaum ein Volk seit 200 Jahren an Gesetzespositivismus und kantischem Rigorismus in der Variante der Beamtengläubigkeit. Sie glauben, dass ausgerechnet die Asperger-Moral eines Philosophen mit etlichen Zwangsstörungen – Kant ging mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks seine Spaziergangsroute, hatte feste tägliche Routinen von früh bis spät – der richtige Ratgeber ist, um Normen so überzuerfüllen, dass eine Art totalitärer Slapstick daraus entstehen muss. Ich bin inzwischen überzeugt: diese Gesellschaft würde in der Masse letztlich alles machen, was man von ihr verlangt.
Die bayerische Kabarettistin Monika Gruber hat kürzlich ihre Bühnenkarriere beendet; sie tritt kritisch auch bei der Aktion #allesaufdentisch in Erscheinung.
Grund für ihren Rücktritt: Wenn sie morgens in der Zeitung lese, dass es nun «Menschenmilch» statt «Muttermilch» heisse, könne sie das satirisch einfach nicht mehr überhöhen. Mir geht es ähnlich. Man kann satirisch gar nicht viel über Corona schreiben, die Realsatire ist Wahnsinn genug. Man stelle sich vor, kurz vor Winter kommt doch tatsächlich eine «Supervariante». Sind Sie auch so überrascht?
Ich kam vor gut zwei Jahren in die Schweiz, das wohl freieste Land der Welt und das einzige, welches überhaupt eine Abstimmung zu den Maßnahmen zulässt. Ich habe keine große Angst vor einem übergriffigen Bundesrat. Die Politik ist mir relativ egal. Ich habe mehr Angst vor einer Mehrheitsgesellschaft, die an dieser Übergriffigkeit nichts Skandalöses mehr findet, die jede Übergriffigkeit und manche Spaltung sogar noch begrüßt. Und die noch ein paar Jahre und schlaues Rätselraten braucht, um ein paar grobe aber offensichtliche Zusammenhänge zu verstehen, die einem Typen im Muscle-Shirt schon vor 1,5 Jahren klar waren. Was würden Sie an meiner Stelle tun: kein Kulturprogramm, kein Restaurant, kein Fitnessstudio und eine Sprache, die Sie nur halb verstehen. Kann man das nicht billiger in Kasachstan oder Armenien haben? Dort wäre auch der Strompreis günstiger, falls man mal billig Bitcoin schürfen müsste.
Gerade bin ich im deutschsprachigen Raum unterwegs, um eine Doku zu drehen. Es ist ein Spießroutenlauf: Hotels, AirBnb etc. sind für mich nicht mehr ohne irgendein G betretbar. Ich hangele mich von einem Unterschlupf zum Nächsten. Mein Stammlokal heisst Uber Eats. Ich lebe in einer Parallelwelt der Ungeimpften. Ich verstehe langsam, was dieses G bedeutet. Es ist das G für Ghetto. Der öffentliche Raum ist für mich mit Begehungsverboten gepflastert, niemand hat mich in das Ghetto gesteckt. Das Ghetto wurde um mich herum gebaut. Ich weiß nicht, wann es den anderen auffallen wird, dass es dieses Ghetto gibt. Ich weiß nur, dass meine Eltern das kommunistische Polen vor 38 Jahren sicher nicht deshalb verlassen haben, um in einem Gesundheits-Ghetto von Chinas Gnaden zu leben.
Einstein meinte, es sei eine Definition von Wahnsinn, stets das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten. Ich glaube auch nicht, dass man Wahnsinn logisch auflösen kann. Und doch schreibe ich seit zwei Jahren gefühlt den immer gleichen Text, der genau das bewirken will. Ist es Ihnen auch schon aufgefallen? Verrückt, oder?
Dieser Beitrag erschien zuerst im Satiremagazin Nebelspalter.
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Ja, ich habe auch so den Eindruck, dass es in Variation fast immer derselbe Texte sein könnte. Das zeigt nur, wie intelligent Sie sind, denn viele lesen Ihre Texte immer noch gerne :D
Zuerst: es ist etwas hart als jemand, der im Moment völlig in D festhängt, von jemand anderem zu lesen, er reise durch die Welt. Aber ich gönne es Ihnen und jedem, der dies kann im Moment. Abgesehen davon tun Sie das, was Sie vermögen, um gegen diesen Irrwitz anzugehen.
"Wenn ich Deutschland betrete, fühle ich mich, als wäre ich auf ein Kabel gestiegen, das einem sämtliche Energie absaugt." Mal wieder sehr treffend ausgedrückt. Ich muss gerade auch jede noch verfügbare Quelle anzapfen, um dieses Aussaugen abzufangen. Mal sehen, ob das auf Dauer ausreicht.
Es gibt aber ein denke ich präziseres Bild als das des Autisten. Zumindest was einen (Groß)Teil der Menschen in D angeht.
Soweit ich es verstanden habe, geht Achromatopsie/Achromasie (Farbenblindheit etwas unpräzise ausgedrückt) immer mit einer völlig verschwommenen Sicht einher, weil die Person extrem lichtempfindlich ist. In einer Folge der neuen Apple-Serie (ja, sorry, ich habe temporär die Bezahlschranke überquert, weil ich das unbedingt sehen wollte) - also die neue Serie "Foundation" wollte ich sehen. Kurz für die, die nicht mit dem Inhalt vertraut sind:
Das galaktische Imperium wird von den drei Klonen des letzten Herrschers Cleon I., Brother Dawn, Day und Dusk beherrscht. Jeder dieser Klone verkörpert und repräsentiert das "Empire" und wird auch so angeredet. Dawn ist der jüngste Klon, der irgendwann Day nachfolgt, und von den beiden anderen beständig das Regieren lernt. Day ist sozusagen der aktive Herrscher und Dusk ist der Altersherrscher, der in beratender Funktion tätig ist und als Maler mit riesigen Wandgemälden die Taten Empires verewigt (das Spezielle der Malerei lasse ich weg, es ist für das, was ich sagen will, nicht relevant) und irgendwann, wenn der neue Dawn aus der Retorte schlüpft, rituell vernichtet wird.
Kurz vor der ersten Krise stellt sich heraus (das weiß nur der Zuschauer), dass der etwa 20-jährige Dawn "farbenblind" ist, also nur s/w, Grau- und Blautöne sehen kann (und dabei scharf sieht! Soweit ich mich informiert habe, ist das so nicht möglich). Er hat also einen genetischen Defekt und weiß, wenn das herauskommt, wird er vernichtet werden und sein Ersatzklon wird an seine Stelle gesetzt.
Einmal (nur noch etwas Geduld, ich bin gleich da) nimmt Brother Dusk Brother Dawn mit auf die Jagd (eine Schnepfenjagd oder ähnliches). Weil Dawn (es ist seine erste Jagd) drei Vögel mehr schießt als Dusks Highscore (drei), lässt er drei Vögel verschwinden, weil er sich sicher ist, das Dusk sonst ziemlich sauer wird.
Einen Tag bevor Brother Dawn aus dem Palast fliehen will, zeigt ihm Brother Dusk einen Teil des Gemäldes, das Dusk neu entworfen hat. Darauf sieht Brother Dawn drei Vögel, die drei, die er bei der Jagd erlegt hatte, in den Tönen, die Dawn erkennen kann. Dusk geht ab und Dawn heftet sich ein Gerät links und rechts an die Stirn, das die Achromasie ausgleicht. Nun stellt er mit Erschrecken fest, dass Brother Dusk um sein Gehemnis weiß - er erkennt in leuchtenden Farben noch drei weitere Vögel, also insgesamt sechs.
Genau so ist es mit einem Teil der Gesellschaften rund um den Globus bestellt, was uns in D das Mitläufertum und auch Teile der Kollaborateure dieser beschert. Aber obwohl es Menschen gibt, die das Gerät zur Verfügung stellen, um diese Achromasie aufzulösen, wollen (oder können) ganz viele das Ding einfach nicht benutzen.
Ein erhellender wie beklemmender Text. Danke dafür!
Ebenso treffsicher und scharfsinnig hat Dietrich Bonhoeffer die soziologische Dimension des Bösen in seiner Schrift "Von der Dummheit" herausgearbeitet:
"Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit. Gegen das Böse lässt sich protestieren, es lässt sich bloßstellen, es lässt sich notfalls mit Gewalt verhindern, das Böse trägt immer den Keim der Selbstzersetzung in sich, indem es mindestens ein Unbehagen im Menschen zurücklässt.
Gegen die Dummheit sind wir wehrlos. Weder mit Protesten noch durch Gewalt lässt sich hier etwas ausrichten; Gründe verfangen nicht; Tatsachen, die dem eigenen Vorurteil widersprechen, brauchen einfach nicht geglaubt zu werden – in solchen Fällen wird der Dumme sogar kritisch – und wenn sie unausweichlich sind, können sie einfach als nichtssagende Einzelfälle beiseitegeschoben werden. [...]
Er [der Dumme] ist in einem Banne, er ist verblendet, er ist in seinem eigenen Wesen missbraucht, misshandelt. So zum willenlosen Instrument geworden, wird der Dumme auch zu allem Bösen fähig sein und zugleich unfähig, dies als Böses zu erkennen. Hier liegt die Gefahr eines diabolischen Missbrauchs. Dadurch werden Menschen für immer zugrunde gerichtet werden können. Aber es ist gerade hier auch ganz deutlich, dass nicht ein Akt der Belehrung, sondern allein ein Akt der Befreiung die Dummheit überwinden könnte."
Quelle: Dietrich Bonhoeffer. Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft