Der Fisch stinkt vom Kopf her
Die Bundespräsidentenwahl ist das beste Beispiel für das Siechtum der Demokratie und den Aufstieg eines neuen Systems des « Umgekehrten Totalitarismus ».
Über Steinmeier zu schreiben ist so müßig wie einfach. Die Autorität des Bundespräsidenten hängt schlicht gesagt am Wort. Doch eben das Wort beherrscht Steinmeier nicht. Seine Worte bewegen sich in etwa so elegant durch ihn hindurch, wie ein Geröllhaufen durch ein Flussbett. Doch gerade deshalb sagt auch diese Wahl so viel aus über den Zustand der Demokratie in Deutschland.
Bundespräsidentenwahlen sind keine Wahlen. Sie sind ein zivilreligiöses Hochamt. Eine Krönungsmesse. Abgeordnete sowie Vertreter der Parteienschickeria feiern ein fröhliches Stelldichein und tun so, als ginge es tatsächlich um eine (Aus)wahl. Dabei sind sie alle Darsteller eines Stücks, das man mit dem Politikwissenschaftler Sheldon Wolin den «Umgekehrten Totalitarismus» nennen kann. Damit ist der Zustand der Entkernung und Umdrehung der Demokratie in ihrer späten Siechtumsphase in ihr Gegenteil gemeint, bei nach außen makelloser Maquillage. (Das Buch Wolins ist einen Tag nach der Wahl erstmals auf Deutsch im Frankfurter Westend Verlag erschienen, hier bei Buchkomplizen zu bestellen). Dazu gleich mehr. Doch zuerst zur Wahl des Bundesbots Bundespräsidenten.
Der Formfehler im System
Wer die Bundespräsidentenwahl betrachtet, konnte den Hauch von DDR light und ihrem 40. Jahrestag 1989 förmlich mit den Händen greifen. Der Kandidat Steinmeier war als Konsenskandidat von den Regierungsspitzen erneut ausgekungelt und als alternativlos präsentiert worden. Eine Debatte, ob Steinmeier tatsächlich "der beste Kandidat" war, wurde gar nicht geführt. Und das, obwohl sich bei Steinmeier die Frage nach der Befähigung für das Amt förmlich aufdrängt. Wo war das Phantom aus dem Schloss Bellevue in der Corona-Krise? Warum repräsentiert ausgerechnet ein Kandidat, der seine gesamte Karriere (und nun auch die Wahl zum Bundespräsidenten) der Politbürokratie verdankt, die notwendige "Rettung der Demokratie"?
Die Bundespräsidentenwahl war eine Farce der Demokratie und muss wiederholt werden. Die Wahl litt an schweren Formfehlern. Dazu zur Illustration folgendes Beispiel: stellen wir uns vor, in einer Schulklasse steht die Wahl des Klassensprechers an. Der Lehrer hält drei Schüler für recht geeignet und spricht diese vorab an, ob sie nicht bereit wären zu kandidieren. Sie wollen. Am Tag der Wahl des Klassensprechers erklärt der Lehrer, dass nun die Wahl ihres Vertreters ansteht und er nennt auch die drei Kandidaten, die sich vorab bereit erklärt haben. Dann stellt er feierlich fest, man schreite nun zum Wahlvorgang, er erklärt den genauen Ablauf, teilt die vorgefertigten Stimmzettel aus und lässt die Schüler ihr Kreuzchen machen. Fehlte hier nicht noch ein ganz wesentliches Element? Genau, es fehlte die Frage an die Klasse, ob es denn noch weitere Kandidaten gibt. Jeder Schüler hat ja ein Vorschlagsrecht. Indem der Lehrer nur die genannten, vorab von ihm ausgewählten Kandidaten nennt, beraubt er jeden einzelnen Schüler seines Vorschlagsrechts und seines Rechts, selbst zu kandidieren.
Wahlen sind höchst formalisierte, juristische Vorgänge. Sie können schon aus teils nichtig wirkenden Gründen für ungültig erklärt werden. Die Beschneidung des Rechts von Kandidaten, sich vorschlagen zu lassen, ist dagegen stets ein grober Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit. Bei der Bundespräsidentenwahl lag genau das vor: die Bundestagspräsidentin Bas nannte nur die vorab eingereichten Namen der vier Kandidaten und erklärte daraufhin lapidar: "Wir schreiten nun zur Wahl". In diesem Moment beraubte sie jedes Mitglied der Bundesversammlung seines Rechts, noch einen Kandidatenvorschlag zu machen, wie es das Bundespräsidentenwahlgesetz in § 9 Abs. 1 («Wahlvorschläge für die Wahl des Bundespräsidenten kann jedes Mitglied der Bundesversammlung beim Präsidenten des Bundestages schriftlich einreichen») vorsieht und verweigerte weiteren Kandidaten implizit das Recht, aufgestellt zu werden.
Die Bundestagspräsidentin maßte sich ein Recht zur Schließung der Kandidatenliste an, welches ihr nicht zusteht. Die vorgefertigten Stimmzettel zeigten zudem, dass der Fehler längst systemisch geworden ist, ebenso wie die kollektive Blindheit eines Gremiums für das demokratische Verfahren und die basale Gepflogenheit, vor einer Wahl danach zu fragen, ob es denn noch andere Kandidaten gibt. Nicht die Parteien schlagen nämlich Kandidaten vor, sondern einzelne Mitglieder der Bundesversammlung. Wer sich hingegen der normativen Kraft der faktischen Überpräsenz der Parteien in allen demokratischen Prozessen, also auch hier, hingibt, dem fällt das freilich nicht mehr auf.
Das haben wir doch immer schon so gemacht! Nein.
Klingt nach einer Petitesse? Das Gesetz ist eindeutig und verbindlich. Auch für Bärbel Bas hätte es sich empfohlen, einmal ins Gesetz zu schauen und auch die stenografischen Protokolle der Bundespräsidentenwahl seit 1949 zu studieren. Hierbei wäre ihr aufgefallen, dass bis 1989 (bis auf einen Patzer) jeder Bundestagspräsident die Frage nach weiteren Kandidaten in der Sitzung selbst gestellt hat und zwar, wie es das Gesetz vorsieht, vor jedem Wahlgang. Ab 1989 unterblieb die Nachfrage hingegen durchweg. Was war geschehen? 1989 stand mit dem amtierenden Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker nur ein Kandidat zur Wahl. Der Fehler kam ins System, als zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik ein weiterer Grundsatz der Demokratie verletzt wurde: nämlich, dass Demokratie von einer Auswahl lebt.
Es gilt nun, der Wahrheit ins Auge zu sehen: der Fisch stinkt vom Kopfe her. Wenn bei der Wahl zum höchsten Amt im Staate die basalen gesetzlichen Standards seit über 30 Jahren nicht mehr eingehalten werden, und das in einem Land, das für seine Gründlichkeit bekannt ist, will man sich nicht vorstellen, wie es im Kleinen abläuft, bei den Wahlen zum Betriebsrat, zum Vereinsvorsitzenden oder schlicht: zum Klassensprecher. Der Vorgang zeigt, dass die Demokratie in einer selbstverschuldeten Krise ist.
Der unsichtbare Systemwechsel
Was lernen wir daraus? Wenn der Schlendrian systemisch und damit egal wird, hört das Herz der Demokratie irgendwann auf zu schlagen. Das demokratische Element stülpt sich dann nur noch nach außen, wo es umso frenetischer gefeiert und immer wieder betont wird. Es ist im Innern aber nicht mehr vorhanden. Für diesen Vorgang hat der amerikanische Politikwissenschaftler Sheldon Wolin, wie eingangs erwähnt, den Begriff des «Umgekehrten Totalitarismus» geprägt. Das Buch ist erstmals in deutscher Sprache erhältlich und von Wolin im neunten Lebensjahrzehnt verfasst worden – als Krönung einer kritischen akademischen Laufbahn, was selten genug ist: In der Regel werden Professoren mit dem Alter geistig nicht mehr schärfer und auch altersmilder. Wolin dreht dagegen richtig auf.
Wolin prangert genau die Dinge an, an denen die Bundesrepublik (und viele andere westliche Demokratien) heute leiden. Er fasst in Worte, was aufmerksame Demokraten täglich spüren: Institutionelle Korruption, Zuschauerdemokratie, bloße Verwaltung der Ohnmacht, ein permanentes Unterlaufen des psychischen Immunsystems gegen Manipulation, freiwillige Unterwerfung, das Blindmachen für Alternativen durch Indoktrination. Kurz: Es ist die Schaffung eines neuen Systems im Mantel des alten Systems. Es entsteht ein System, welches vorgibt «das Gegenteil von dem zu sein, was es wirklich ist». Umgekehrt totalitär ist das neue System deswegen, weil der klassische Totalitarismus dadurch wirkte, dass er alle mobilisierte; der neue Totalitarismus wirkt schleichend dadurch, dass er alle fragmentiert und dadurch gefügig macht. Die Pappdemokraten von heute nicken auf Kommando. Den Professoren «wird das Apportieren beigebracht» (E. Jünger) und die Presse übt sich im papageischen Nachplappern.
Verständlich ist die heutige politische Welt nur, wenn man sie systematisch spiegelverkehrt liest, alle Worte und Begriffe umdreht. In dieser Epoche der großen Verdrehung passt tatsächlich niemand besser an die Spitze der Bewegung als ein Frank-Walter Steinmeier. Man will nur noch mit Herwegh sagen: «Schlafe Deutschland – was willst du mehr?»
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1. - kann man nicht von "Wahl" sprechen, schon weil es keine ist !
so wie auch dieses "Wahlrecht" allgemein, also auch Bundestagswahlen betreffend nicht
demokratisch ist, nie war.
2. - ist dieses spezielle Spektakel um einen "Präsidenten" ein Kasperltheater und eine
Schmierenkomödie sonders gleichen - eine verlogene und scheinheilige Inszenierung um
einen "demokratischen" Schein gerade noch zu wahren. Nur Einfältige fallen darauf noch
herein.
3. - ist dieser erbärmliche Selbstdarsteller in diesen Zeiten des Umbaus in ein totalitär-
faschistisches Regime unter privater Regentschaft ( Schwab, Gates, blackrock, Rothschild e.c.t )
freilich die Idealbesetzung, wie schon der Verfassungsvernichter Harbarth, Stillschweigen und
Stillhalten.
4. - " Wer die Demokratie angreift hat mich zum Gegner ! " - offenbart er sich ja selbst mit
solchen an Verlogenheit nicht mehr zu toppenden Sätzen als das was er ist: eine geistige und
menschliche Niete. Allerdings macht er auch das nicht umsonst - 250.000 Jahresgehalt und
zusätzlich 80.000 "Aufwandsentschädigung".
Solche Typen "repräsentieren" einen Staat - tiefer kann ein Staat nicht mehr sinken.
So sehr ich die Kommentare von Herrn Matuschek schätze (auch wenn ich deren Aussagen zumeist nicht teile) so geht er hier meilenweit am Thema vorbei.
Der Bundespräsident ist im Verfassungskonstrukt des Grundgesetzes eine ähnliche Rolle zugewiesen wie die englische Queen im britischen Verfassungsrecht hat. Nämlich die des Mahners, Repräsentanten und die eines formal Gesetze absegnenden Organs.
Dazu sind in der bundesdeutschen Geschichte immer Personen aus dem Kreis hoher Bundesbeamter (Verfassungsrichter) oder eben verdienter und allgemein beliebter Politiker gefunden worden.
Der Bundespräsident soll vereinen, versöhnen, repräsentieren und eben dezidiert nicht aus einer kontroversen Wahl hervorgehen.
Daher ist es naturgemäß stets irgend jemand, der für alle beteiligten Parteien in Bund und Ländern wählbar ist. Er soll eben nicht irgendwelche Mehrheiten oder Gruppen repräsentieren sondern alle. Bei "rchtigen" Wahlen werden aber Repräsentanten von bestimmten Gruppen und Interessen bestimmt, nicht jemanden der alle vertritt.
Zu erwarten, das der Bundespräsident also aus einem kontroversen Wahlkampf und Wahlverfahren hervorgeht ist deswegen Mumpitz.
Die Bundesversammlung hat nur eine Funktion: einen Bundespräsidenten zu wählen. Und das nicht aus mehreren, denkbaren Kandidaten. Sondern einen Kandidaten zu "küren", der vorher bereits bestimmt ist.
Ärgerlicherweise wird in den letzten Jahren irgendwie gerade die Wahl des Bundespräsidenten als Symbol für vorgeblich krisenhafte Entwicklungen der Demokratie herangezogen.
Da wollen dann rechte Parteien eine Direktwahl des Präsidenten oder Ähnliches. Was aber eben die Balance der Verfassungsordnung verändern würde. Und wollen wir tatsächlich einen Volkstribunen im Amt eines Bundespräsidenten? Jemand der dem angeblich verotteten Parteienstaat die Zähne zeigt? Der müsste dann antürlich mehr Macht haben als jetzt ein Bundespräsident.
Kurz: Wir Deutschen sind in den letzten Jahren immer gut damit gefahren irgendeinen verdienten Altpolitiker ins Amt zu setzen der eine würdige Figur abgibt, salbungsvolle Reden hält, Kränze niederlegt und ansonsten sich aus der Tagespolitik heraushält.
Die Bundesversammlung ist nur und ausschließlich dazu da den Bundesprä