«Wir müssen immer wieder Klippen herunterspringen und unsere Flügel auf dem Weg nach unten ausbilden»
- Kurt Vonnegut
Es gibt den schönen Satz von Churchill: “Je weiter man zurückblickt, desto weiter kann man nach vorne schauen”. Hinter dieser Weisheit steckt das Wissen darüber, dass sich alles stets zu wiederholen scheint, wenn auch in einem anderen Mantel. Die Geschichte, das Leben, der Kampf um die Freiheit, alle Ereignisse sind letztlich ein Kreislauf. Wer sich auf dieses Gedankenspiel einlässt, kann ein stückweit in die Zukunft blicken und sich zu den gewaltigen Veränderungen, die uns bevorstehen, positionieren. Vorausgesetzt, man ist bereit, sich den blinden Flecken unserer Zeit zu stellen.
Platons Höhle als Gefängnis des Geistes
Mit dieser Haltung schrieb ich ab 2016 an dem Buch «Generation Chillstand», das aus aktuellen Gründen gerade neu als Taschenbuch im Westend Verlag erscheint. Wer es heute liest, hat den Eindruck, ich hätte in die Zukunft geblickt: Verengung der Welt, Kadavergehorsam, Inflationierung von Diplomen, Geld und Information, die große Frage nach dem Neuen und wie man es möglich macht. All diese Fragen stellen sich heute in besonderer Weise, dabei waren sie in den letzten Jahren bereits sichtbar, wenngleich sie auch noch nicht virulent geworden sind. Man musste als Autor nicht besonders prophetisch sein, um dies zu erkennen; vielmehr musste man mit einiger Blindheit geschlagen sein, um all das erst jetzt in Grundzügen zu sehen.
"Die mächtigste Tyrannei", so der Politikwissenschaftler Allan Bloom, "ist diejenige, die es schafft, das Bewusstsein für Alternativen auszuschalten". Wir leben in einer Zeit, in der die Optionen objektiv gesehen unendlich sind, aber letztlich stets nur eine Möglichkeit Sinn zu machen scheint. Nämlich die, welche dem Status quo dient. Es ist diejenige Option, die uns ständig und deutlich unter die Nase gerieben wird, die wir sehen sollen. Diese Idee steckt schon in Platons Höhlengleichnis und wird heutzutage durch eine Bespielung des menschlichen Geistes mit einer Reihe von manipulativen Methoden erreicht. Das Kalkül dahinter: Der Mensch rebelliert nur gegen das, was er wahrnimmt. Ist es da ein Wunder, wenn wir bei zahlreichen Debatten nicht auf der Höhe der Zeit sind?
«Wir leben schon wieder in einer Art Höhle, so wie bei Platon. Wir glauben auf der Höhe der Zeit zu sein, smart sowieso und gut ausgebildet, und erkennen jetzt, dass auch dies eine Illusion ist, die die wahren Umstände unserer Existenz verschleiert. Aus diesem Grund sind Fragen zum Fiat-Geldsystem, zur Medienkonzentration, zur Souveränität Deutschlands, zur Macht von Lobbygruppen und NGOs, Bilderbergern etc. tabu. Wir behandeln sie weder in der Schule noch in öffentlichen Medien, sondern allenfalls in Satiresendungen wie "Die Anstalt". Wir gruseln uns, lachen etwas und dann ist es Zeit, ins Bett zu gehen.»
Das Thema Inflation passt gut in dieses Muster. Inflation ist eine schleichende Entwertung von Wertmaßstäben, die Orientierung versprechen. Ein solcher Maßstab ist sicher Geld, aber eben auch Diplome oder Informationen. In all diesen Bereichen haben wir in den letzten Jahren eine massive Entwertung erlebt, die aber nur langsam in den Köpfen anzukommen scheint. Die Inflation von guten Noten und Diplomen hat das Versprechen von Aufstieg durch Bildung ad absurdum geführt. Die Überakademisierung rächt sich gerade in einem Mangel an Handwerkern. Die Inflationierung des Geldes zerstört die Kaufkraft und damit die Früchte der eigenen Arbeit. Die Entleerung von Informationen in den Medien bei gleichzeitiger Überproduktion lässt den Leser für ein Körnchen Wahrheit mehr und mehr arbeiten.
Am Ende entsteht der Eindruck, dass das was man gerne großspurig «gesellschaftlicher Zusammenhalt» oder «Solidarität» nennt, wie ein Schneeballsystem funktioniert, bei dem die Hunde stets die letzten beißen. So betrügt jede Gesellschaft eine zeitlang sich selbst und nachfolgende Generationen, bis der Betrug offensichtlich wird und der Zusammenbruch kommt. Erst danach entsteht eine neue Ordnung mit neuer Lebensdauer.
„Im Grunde sehen wir die Risse im Gemäuer um uns herum längst. Wir sehen die reelle Geldentwertung, wir sehen seit Jahrzehnten stagnierende Gehälter bei steigendem Wirtschaftswachstum und steigenden Immobilienpreisen; wir sehen die Entwertung von akademischen Diplomen bei stetig steigender Absolventenzahl oder die wundersame Senkung der Arbeitslosenzahlen durch die Zunahme vieler prekärer und unterbezahlter Arbeitsverhältnisse. Den Zusammenbruch des größten Ponzi-Systems der Welt werden wir vielleicht schon bald alle miterleben, wenn die internationale Verschuldungspyramide mit den USA an der Spitze einbricht; ein System, das nur solange funktioniert, wie alle Schuldner der USA ihre Schulden bezahlen, während allen klar ist, dass die USA selbst ihre Schulden nie begleichen können werden.“
Was tun?
Mein Buch wurde von vielen als Generationenbeschimpfung wahrgenommen. Dabei war es eher der Versuch, den Kampfgeist einer Generation zu wecken, die es sich im Bestehenden schlicht zu gemütlich gemacht hat. Denn die Neugestaltung der Welt ist immer eine Sache von jungen Menschen:
„Wenn man sich die Geschichte allein der letzten 250 Jahre ansieht, entdeckt man eine Konstante. Die meisten positiven Veränderungen, egal ob politisch, technologisch, gesellschaftlich oder künstlerisch, wurden fast ausschließlich von jungen Menschen in die Welt gesetzt. Also von Gruppen, die es schafften, ihre Kräfte zu bündeln, und sich der Welt, wie sie war, mit der schneidigen Härte eines Diamanten entgegenzustellen. Den Sturm auf die Bastille führte eine entschlossene Gruppe rund um Camille Desmoulins durch und löste damit die Französische Revolution aus. Die Romantiker Ende des 18. Jahrhunderts waren eine Art Gymnasiasten-WG, die nicht nur von der Erfüllung sehnsüchtiger Gefühle träumten, wie sie Goethe mit seinem Werther in die Köpfe gesetzt hatte, sondern die, wie im Fall der Schlegel-Brüder, mit ihrer Zeitschrift Athenaeum nichts weniger als "Diktatoren der Kritik in Deutschland" werden wollten. Es waren unter anderem Heine und Börne, die sich als "Junges Deutschland" dem Geist der Restauration widersetzten und für die Realisierung der Werte der Aufklärung eintraten, die sie später im Vormärz flankiert von Dichtern wie Herwegh, Freiligrath und anderen in eine revolutionäre politische Bewegung zuzuspitzen versuchten, die als gescheiterte Revolution von 1848/1949 in den Geschichtsbüchern steht. Sie wussten, dass dem Einzelnen eine gewaltige Macht zukommen kann, wenn es nur gelingt sich dezentral zu organisieren. Herwegh dichtete passend für diesen Mechanismus folgende bekannte Zeilen, die bis heute nachvibrieren:
"Mann der Arbeit, aufgewacht! Und erkenne deine Macht!
Alle Räder stehen still.
Wenn dein starker Arm es will."
Ich nehme aus dem Blick in die Geschichte vor allem Mut mit. Das Spiel der Kräfte ist ein stetiger, sich erneuernder und verändernder Prozess. Die Geschichte ist zyklisch, weil der Mensch sich im Kern nie geändert hat und vielleicht nie verändern wird. Daraus entstehen immer aufs Neue Bewährungsproben für die Menschheit, die es zu bestehen gilt. Ein treuer Wegbegleiter beim Verfassen des Buches war mir Stefan Zweigs „Die Welt von gestern“. Das immer brüchiger werdende Gefühl von Sicherheit und Ordnung, die Kriegsbegeisterung und Inflation sind darin besser beschrieben als ich es je könnte. Und erneut ist all dies heute Thema. Erneut wirkt es auf die junge Generation, die all das zum ersten Mal erlebt so, als wäre der Gegner übermächtig und jeder Widerstand gegen die Verhältnisse zwecklos. Dabei ist die Situation nicht mehr oder weniger ausweglos als sie vielen Generationen vor uns erschien.
Mit einem Unterschied: Dies ist nun eben „unsere“ Bewährungsprobe. Nun steht eine neue Generation an der Frontlinie der Geschichte und muss sich entscheiden, ob und wie sie die Verhältnisse meistert. Auch dazu gibt es historische Konstanten, die ich in Generation Chillstand näher ausführe. Letztlich geht es darum, dem alten System Kräfte zu entziehen und neue Kräfte zu stärken und seine eigene Heldengeschichte zu schreiben, wie es die Künstler des “Jung Wien” in obigem Video einst taten.
Die wichtigste Erkenntnis ist dabei für mich: Wir haben es letztlich selbst in der Hand. Wir können uns zwischen der roten und der blauen Pille entscheiden. Alles hängt von unserem Blickwinkel auf die Welt ab. Akzeptieren wir diese, wie sie ist oder wagen wir einen Neubeginn?
Dieser Text zeigt, was ich meine:
Ich bin Teil einer verlorenen Generation
Und ich weigere mich zu glauben:
„Ich kann die Welt verändern!“
Mir ist klar, dass dies ein Schock ist, doch
„Glück kommt aus dem Innern“
ist eine Lüge, denn
„Geld macht glücklich“
In 30 Jahren werde ich meinen Kindern sagen
sie sind nicht das Wichtigste in meinem Leben
Meine Chefs werden wissen
Ich habe meine Prioritäten gesetzt, denn
Arbeit
ist wichtiger als
Familie
Ich sage dir mal was:
Es gab mal diese Zeit
da blieben Familien zusammen
doch das wird in meiner Zeit anders gewesen sein
dies ist eine Schnell-Schuss Gesellschaft
Experten sagen mir
30 Jahre von hier feierst du dein zehntes Scheidungsjubiläum
Ich kann nicht behaupten
Ich lebe in einem Land eigenen Zuschnitts
In der Zukunft heißt es
Umweltzerstörung ist die Norm
Man wird nicht sagen können,
dass ich und meine Generation uns um diese Welt gekümmert haben
es wird offensichtlich sein
Meine Generation war apathisch und lethargisch
und es ist dumm anzunehmen
Es gibt so etwas wie Hoffnung.
Sie glauben mir nicht, dass der Blickwinkel alles verändert? Dann lesen Sie jetzt diesen zitierten Text einfach von unten nach oben.
Mein Buch “Wenn´s keiner sagt, sag ich´s” (Spiegel-Bestseller) mit den besten Kolumnen der letzen zwei Jahre ist im regulären Buchhandel oder hier bestellbar. Auch “Generation Chillstand gibt es bei den “Buchkomplizen” oder im regulären Handel.
Am 22.09. bin ich in Frankfurt im Westend Verlag zu einer öffentlichen Diskussion mit Verleger Markus J. Karsten eingeladen.
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Raus aus dem Chillstand! Werden wir unsere Bewährungsprobe bestehen?