Lob der Alchemie
Der Mensch ist ein Transformationskünstler. Man muss ihn nur lassen - und sich vor den falschen Alchemisten schützen.
Die Raunächte neigen sich dem Ende zu. Viele Menschen vertreiben jetzt böse Geister aus dem Haus. Doch lässt sich das Böse, Schlechte, Falsche einfach so vertreiben? Man kann sich an ihm abarbeiten, sicher. Oder man geht den Weg der Umwandlung. Das Wertlose durch einen komplizierten Prozess nahe an den Mechanismen der Natur in Wertvolles umzuwandeln: das lehrt uns die Alchemie. Der Prozess der Goldgewinnung sollte nicht wörtlich genommen werden, sondern als Symbol verstanden werden, als philosophische Goldgewinnung, als Veredelungsprozess an sich selbst und an der Welt.
Symbolische Transformation
Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das sich selbst programmieren kann. Es gibt nicht die eine menschliche Natur oder die eine Haut, aus der man nicht kann. Der Mensch kann aus seiner Haut fahren, zum Guten oder zum Schlechten, er kann seine Existenz in die edelsten Höhen schrauben oder in den Tartarus der Barbarei fallen lassen. Die Transformationsfähigkeit aus sich heraus ist der Kern der Menschenwürde als grosses Unterscheidungskriterium zum tierischen Instinkt. Doch wie entsteht Neues?
Die Ausgangsbasis für Veränderung legt die Natur selbst, durch den "Bildungstrieb der Stoffe" (Runge). Unterschiedliche chemische Stoffe äussern ihr Verhältnis zueinander durch eine Reaktion. Übertragen auf die menschliche Sphäre könnte man mit Paul Watzlawick sagen: "man kann nicht nicht kommunizieren." Es passiert also immer etwas, auch wenn scheinbar nichts passiert. Und mit Anstrengung ist sogar eine Transformation zum Edlen und Schönen möglich. Dafür bedarf es Urteilsfähigkeit, um das Richtige vom Falschen zu trennen, die richtige Kombination der einzelnen Ingredienzen und natürlich: viel Geduld.
Gerade heute, in einem Klima der Alternativlosigkeit und Apathie, wo jeder in seiner digitalen Käseglocke vor sich hin existiert, verspricht die Beschäftigung mit naturphilosophischen Mustern einen optimistischen Weltentwurf. Newton, Goethe und unzählige Künstler, von den Surrealisten über Max Ernst, Sigmar Polke, Joseph Beuys bis hin zu Anselm Kiefer oder Mary Bauermeister waren oder sind von diesem Prozess fasziniert und inspiriert. Was ist zu tun, für einen selbst und für die Welt? Auf diese schwere Frage hat die Künstlerin Mary Bauermeister in einem Gespräch einmal folgende Antwort gegeben: Man entscheide sich für diejenige Option, die mehr Mut erfordert. Im Schwierigen, nicht im Leichten liegt der Schlüssel für den Umbau der Welt nach harmonischen Prinzipien. Das gilt besonders in Zeiten wie diesen, in welchen Chaos, Verwirrung und Spaltung herrschen.
Die Alchemie als zeitlose Weisheitslehre lehrt unter anderem, dass die Entwicklung der Menschheit eine Abfolge von Werden und Vergehen ist, in welche der Mensch zu seinem und zur Menschheit Vorteil eingreifen kann. Über Jahrhunderte motivierte sie die einen zu schnellem Reichtum zu kommen und andere, nach Wissen und einer natürlichen Harmonie des Guten zu suchen. Jede Situation verurteilt uns zu einer Positionierung. Man kann nicht nicht handeln. Auch das Nichtstun in Anbetracht des Schlechten ist eine Handlung, im Zweifel kann sie als Zustimmung gedeutet werden. "Es genügt für den Triumph des Bösen schon, wenn die Guten nichts tun", soll Edmund Burke gesagt haben. Wer sich heute für die Demokratie nicht einsetzt, putscht durch Unterlassen.
Leben ist Lust auf Veränderung
"Die Lust auf die Welt ist so groß, dass wir sogar in Wolken Muster erkennen wollen", meint der deutsche Künstler Jonas Burgert. Der menschliche Drang zur Freiheit, zur Wahrheit und zum Leben, also zu einer inspirierenden Transformationserfahrung ist der Normalzustand, und eben nicht die ferngesteuerte Panoramareise, die heute das Programm zu sein scheint. Lärm, Ablenkung, Isolation, Naturentfremdung und Zersetzung der menschlichen Intuitionskraft sind das heutige toxische Gegenprogramm zur möglichen Vereinigung der kollektiven Kräfte. Das Genie der Lebenskunst schafft sich seine eigene Natur. Das geht nur, wenn man den allgemeinen Dämmerzustand verlässt.
Was bedeutet heute Aufklärung? Zuerst mal, die Illusion der eigenen Aufgeklärtheit zu begreifen. Ein gutes Mittel hierfür kann die Kunst sein, wenn sie ihren Auftrag wahrnimmt. Die planmäßige Zerstörung der Imaginationsfähigkeit und deren Bewahrung ist vielleicht das entscheidende Element für die zukünftige Ordnung. Gegen diese muss nicht nur die Kunst alle Kräfte mobilisieren. Der Lauf der Dinge hängt nicht nur am Intellekt der Menschheit, sondern an der Vorstellungskraft für Alternativen. Erst wenn diese erlahmt, geht das Licht aus. In diesem Sinne: mehr Licht!
Dieser Beitrag erschien leicht verändert in der NZZ.
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(nur c&p von soeben:) Was Mut gibt: Zu sehen, dass inmitten des größten Widersinns viele Bürger, wenngleich eine Minderheit, auch zu ihrer größten menschlichen Form auflaufen. Abschminken muss man sich halt den Wunsch, dass man im Großen / für die breite Masse eine Kehrtwende schafft. Das ist naiv. 20 Jahre Schule, Uni, Unterhaltung und Hundsmedienkonsum sind nicht ohne Folgen. Viele, an sich unbedarfte Bürger sind dadurch nun bis zum Scheitel vergiftet und kaum noch fähig, die Wahrheit zu ertragen.
Und jetzt sind wir an einem Punkt angekommen, an dem die Schei§§e aus dem Fass überzulaufen beginnt. Viele Menschen werden nun in den Selbstzerstörungsmodus übergehen, sich die vierte und fünfte Spritze holen und nach dem großen Krieg schreien, nur um nicht auf das eigene Versäumnis bzw. die Verkommenheit, zu der man sich selbst heruntergewirtschaftet hat, hinblicken zu müssen.
Aber von dieser Tragik dürfen wir uns nicht ablenken lassen. Man muss seinen Blick auch vom zur Normalität erklärten Irrsinn abwenden können (freilich ohne ihn zu verdrängen), sonst zieht er einen unbarmherzig hinunter. Wir müssen uns derzeit wohl bescheiden, im Kleinen ganz unabhängig Neues zu entwickeln, evtl. zunächst nur in Gedanken, und unsere Freude daran zu finden. Dass schafft uns und unserem Umfeld auch neue Kräfte, die in nächster Zukunft dringend notwendig sind, um in einer von Lüge und Täuschung vergifteten Atmosphäre überhaupt gesund bleiben zu können.
Eigensinn
In eigenen Gedanken wiegen,
beruhen diese nicht auf Lügen,
wenn echte Lügner Krisen kiegen,
ein unbezahlbares Vergnügen.
Schau' dir nur an die vielen Schlaffen,
die Tagesschau sie täglich gaffen,
ihr Unglück sie sich selber schaffen,
zu spät ist's, wenn sie's endlich raffen.
Die zum Denken zu bequemen,
würden den Eigensinn gern zähmen,
können ihm jedoch nichts nehmen,
müssen sich am Ende schämen.
Seh' ich es in diesem Lichte,
sitzt seit langem zu Gerichte,
wie so oft in der Geschichte,
der Eigensinn und schreibt Gedichte.
Summt leis' das alte Lied dabei:
"Die Gedanken sind frei ..."