Wenn die Fahne fliegt, ist der Verstand in der Trompete
Wenn die mediale Einheitsfront bröckelt, fangen aktivistische Redakteure an, Verräter im eigenen Lager zu jagen. Im Fadenkreuz des durchsichtigen Manövers: die Bonner Politkprofessorin Ulrike Guérot.
Es gibt bestimmt viele schmutzige Tricks, um öffentliche Personen unmöglich zu machen. Die einfachste und älteste Methode ist wohl, die betreffende Person mit Schmutz zu bewerfen, nach dem Satz Plutarchs: «Semper aliquid haeret – verleumde nur dreist, irgendetwas bleibt immer hängen.» Selten war eine Kampagne jedoch so durchschaubar und simpel gestrickt wie im Fall der Bonner Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot.
Die Vorgeschichte ist denkbar einfach: Ulrike Guérot ist eine linksliberale Vordenkerin des Gedankens einer europäischen Republik nach Schweizer Vorbild. Sie ist alles, was der Mainstream liebt: politisch richtig verdrahtet, weiblich, intelligent, redegewandt und zudem Bestsellerautorin. Mit Corona scherte sie erstmals aus dem woken Gefangenenchor des Mainstreams aus und begann, die Maßnahmenpolitik der Regierung so scharf und treffend zu kritisieren, wie sonst kaum ein Intellektueller im deutschsprachigen Raum.
Ihr Buch «Wer schweigt, stimmt zu» (Westend Verlag) erklomm im März aus dem Stand die Bestsellerlisten und hielt sich dort über Wochen. Sie fordert dort zum Beispiel unmissverständlich: „Zuerst räumen wir auf, jeder in seinem Land. Wir überantworten die Verantwortlichen dem Internationalen Strafgerichtshof, sollte sich herausstellen, dass es nicht die Fledermaus war, sondern doch ein Labor, das uns das Virus beschert hat, wie der dänische Sonderbeauftragte der UNO kürzlich leakte. Wir bitten die USA, sich um Anthony Fauci und Bill Gates zu kümmern. Wir schließen die Weltgesundheitsorganisation WHO und durchforsten ihre finanziellen Verstrickungen mit der Pharmaindustrie. Wir lassen die dunklen Gestalten von Pfizer und Co nicht entkommen, wie wir damals, vor zehn Jahren, die Banker haben entkommen lassen. Wir setzen einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss ein. Wir wählen einen neuen Kanzler, der wieder rote Linien kennt.»
Mediales Standgericht
Dann kam der Angriff Russlands auf die Ukraine und Ulrike Guérot äußerte Anfang Juni in der ZDF-Talksendung von Markus Lanz im Grunde nur die eher unverfängliche Forderung, jetzt doch auf den Frieden zuzuarbeiten, anstatt sich auf eine militärische Lösung des Konflikts («Russland muss besiegt werden») zu versteifen. Ihr Motto, frei nach Cicero: «Ein ungerechter Frieden ist besser als der gerechteste Krieg». Die Lösung eines Konflikts ist schließlich nicht möglich ohne Diskussion der tieferen Ursachen eines Konflikts. Doch müsste man dann nicht auch eine Mitschuld des Westens diskutieren, wie der Chicagoer Politikwissenschaftler John J. Mearsheimer im «Economist»? Das eben darf offenbar nicht sein: In Lanz´ Sendung wurde Guérot so konsequent unterbrochen, niedergebrüllt und als einfältig dargestellt, dass auch dem letzten Zwangsgebührenzahler bewusst geworden sein muss, dass hier eine öffentliche Hinrichtung zelebriert wurde, auf Kommando Lanz an die Mitdiskutanden: «Wer fängt an?». Soweit zum gesetzlichen Sendeauftrag, ausgewogen zu berichten. Gegen die blamable Sendung ist inzwischen eine Beschwerde beim Deutschen Presserat anhängig.
Dazu muss man wissen: Guérot ist für die gängigen öffentlichen Narrative zu Corona oder Russland der größtmögliche Unfall. «Eine von ihnen» kehrt dem Mainstream den Rücken, bekommt dafür einige Aufmerksamkeit und muss nun als «Verräterin» zur Strecke gebracht werden. Nach der Sendung von Lanz begann wie auf Knopfdruck eine Kampagne wegen angeblichen Plagiatsvorwürfen in populärwissenschaftlichen Büchern durch den Trierer Politikwissenschafter Markus Linden in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Der Zeitpunkt dürfte nicht zufällig gewählt gewesen sein: Wie der F.A.Z. per Presseverteiler bekannt, soll Guérot just eine Woche später, am zurückliegenden Dienstag nämlich, zur Co-Direktorin eines Forschungsinstituts der Uni Bonn bestellt werden. Das riecht verdächtig nach Cancel Culture über Bande: ein paar Vorwürfe zum richtigen Zeitpunkt gestreut, sollten offenbar Druck auf die Führung der Uni Bonn ausüben, sich von Guérot zu distanzieren, sie als Wissenschaftlerin zu «deplatformen». Diese hielt sich bislang bedeckt. Der einflussreiche Feuilletonredakteur Patrick Bahners, ein bekennender Donald Duck-Fan, führt zudem seit Wochen einen Privatkrieg gegen Guérot auf Twitter, kommentiert Medienauftritte von ihr mit augenrollenden Kommentaren.
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