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A) zu "Für die obrigkeitshörigen Deutschen haben unsere Verfassungsväter mit Artikel 20 Abs. 4 des Grundgesetzes für diesen Fall des notwendigen Widerstands eine eigene Norm geschaffen, zu der es bisher keinerlei Rechtsprechung gibt."

Ich widerspreche nur ungern, jedoch ist dieser Absatz erst 1968 mit bzw. als "Gegenstück" für die sog. Notstandsgesetze eingeführt worden, nachdem dies von "Vätern", wie etwa Carlo Schmid, 1949 abgelehnt wurde.

B) Dem fatalistisch defätistisch erscheinenden Kommentar von Peter Backfisch möchte ich u.a. entgegenhalten, dass es Studien gibt, die zeigen, dass gewaltfreier Protest bei einer Schwelle von etwa 3,5 % der betroffenen Bevölkerung zu nachhaltigen Veränderungen führen können. 2019 habe ich von der Harvard-Politologin Erica Chenoweth gelesen, dass sie mit Maria Stephan, einer Forscherin am International Center of Nonviolent Conflict (ICNC), Hunderte von Kampagnen der letzten hundert Jahre untersuchte und daraus zwei wichtige Schlüsse zog:

1) Gewaltloser ziviler Ungehorsam ist nicht nur moralisch überlegen, sondern auch in der Praxis erfolgreicher. Chenoweth eruierte, dass gewaltlose Kampagnen doppelt so oft erfolgreich sind, wie Bewegungen, bei denen es zu Gewaltanwendung kommt; wobei für einen Erfolg natürlich noch andere Faktoren erforderlich sind, wie klare Ziele, gute Organisation, etc..

2) Die Forscherinnen fanden heraus, wie viele Menschen aktiv sein müssen, damit ziviler Protest erfolgreich wird. Es sind im Durchschnitt 3,5 Prozent der Landesbevölkerung. In Deutschland also nicht einmal 3 Millionen! (vgl. https://www.bbc.com/future/article/20190513-it-only-takes-35-of-people-to-change-the-world )

Das könnte doch ein hoffnungsvoller ein Anhaltspunkt für die im doppelten Wortsinn "kritische Masse" sein.

Schließlich möchte ich der von Peter Backfisch zum Ausdruck gebrachten vermeintlichen Unausweichlichkeit mit Václav Havel entgegenhalten, dass Hoffnung nicht die Überzeugung ist, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.

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Avatar von Regula

Danke sehr für diesen magischen Text, er bestärkt mich in meinem Mut zu einem spontanen "Vortrag" heute in der Bahn:

Ich trage keine Maske und erkundigte mich bei der im Abteil mitreisenden Dame, ob ihr das keine Angst bereite. Sie erwiderte, ich hätte ja sicher einen Grund. Ich bejahte und fügte an, dass nach meiner Wahrnehmung eigentlich sämtliche Fahrgäste einen Grund hätten. So kam ich mit ihr, einer Massnahmenbefürworterin ("man muss doch die Pandemie eindämmen!"), ins Gespräch und bekam die Gelegenheit, wichtige Argumente zu verschiedenen Fragen zu Umgang der Politik mit der "Pandemie" darlegen. Wir berührten unter anderem die kommende Abstimmung in der Schweiz, das Thema Masken, Panikmache, überfüllte Psychiatrie für Kinder und Jugendliche... In einigen Punkten stimmte sie mir dann sogar zu: Einmal fand auch sie, dass der Text der Frage auf dem Abstimmungszettel betreffend das Covid-Gesetz tendenziös einseitig gestellt sei (erwähnt werden dort nur die Unterstützungsgelder, als sei das Referendum gegen diese gerichtet gewesen!?!), während die entscheidenden Punkte der Zertifikatspflicht (eigentlich vom Gesetz sowieso nur für den Fall von Grenzschliessungen vorgesehen) und der Massenüberwachung durch Contact-Tracing gar nicht erwähnt werden, um so die Bürger zu einem Ja zu verleiten. Auch liess sie gelten, dass zwischen Ländern mit strengen und solchen mit keinen oder wenigen Massnahmen kaum Unterschiede (und wenn, sogar eher zugunsten derer mit weniger Massnahmen) zu erkennen seien.

Die Fahrzeit von 15 Minuten gab mir Gelegenheit ihr viele Punkte detailliert auszubreiten - und die anderen Fahrgäste des vollen Wagens hörten schweigend mit.

Schliesslich stiegen wird gemeinsam an derselben Station aus. Wir hatten angefangen, uns gegenseitig wieder als Mensch wahrzunehmen, waren uns trotz Widerspruch irgendwie auch sympathisch geworden und verabschiedeten uns mit gegenseitigen guten Wünschen.

Vielleicht vermögen solche "Aktionen", wenn es gelingt, mit dem Gegenüber in eine persönliche und emotionale Verbindung zu kommen, den starren "hypnotischen" Überzeugungszustand etwas zu aufzuweichen und Stoff zum Nachdenken und -fühlen zurücklassen.

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