Wir schrecklich netten Kinder der Neuzeit
Die Reaktion auf Krisen hängt stark davon ab, aus welchem Holz eine Gesellschaft geschnitzt ist. Die junge Generation steuert auf eine große Bewährungsprobe zu.
Dieser Archivtext war mein erster Text für die NZZ und auch der Beginn meiner Kolumnistentätigkeit, die dann im September 2020 endete. Der Fokus meiner Themen hat sich seitdem verschoben, in Katastrophenzeiten wie den jetzigen habe ich schlicht weniger Elan für Texte über ambitionslose Millennials. Und doch ist dieser Text als Zeitdokument heute noch interessant, denn man kann sich fragen: Was hat sich seitdem geändert? Gibt es auch eine neue Generation aufgewachter junger Leute und wenn ja, wo? Dann bitte ich um sachdienliche Hinweise.
Was wird meine Generation der Nachwelt hinterlassen? Kinder sind es nicht. Vermutlich sind es vor allem Statusmeldungen; die klingen so: «Ich musste heute zwei Blocks entfernt von zu Hause parkieren, furchtbar.» Oder: «Der Kellner ließ mich zehn Minuten warten, noch nie wurde ich so gedemütigt.» Und schließlich: «In meinem Salat war definitiv zu viel Ziegenkäse.» Die Statements finden sich auf der Website «First World Problems». Es sind digitale Feldpostbriefe einer «Bored Generation», die nie existenzielle Not kannte, ein Ticker der Belanglosigkeiten einer selbstbetitelten digitalen Bohème, die erstmals alles hatte und genau an diesem Überfluss zu ersticken droht.
Träumen vom Staatsdienst
Das Problem der zwischen 1980 und 2000 geborenen «Generation Y» sind nicht die zu vielen Optionen oder das seichte Lebensgefühl des «vielleicht dies, vielleicht das». Ihr Problem ist, dass sie keine Probleme mehr kennt. Erst noch die Welt retten oder lieber gleich einen Master machen? Wir streiten über Lifestyle-Themen, über glutenfrei oder gleich vegan, über zu viele Hipster in der Stadt und zu lange Schlangen vor den Klubs. NSA, Gaza, Syrien? Das sind Probleme der anderen. Wir hingegen, die mit dem Glauben an die eigene Großartigkeit aufgewachsen sind, beschäftigen uns lieber mit dem Warten auf die Belohnung, die uns immer versprochen wurde für das Abhaken der großen Lebensziele, wie Ausbildung, Abitur und Studium.
Was denkt die Jugend? Wonach streben leistungsfähige Akademiker? Gemäß einer Erhebung von Ernst & Young in Deutschland träumen junge Menschen vom Staatsdienst. Ja, richtig: von Beamtenstuben, Stempeluhren, Filterkaffee und bohnergewachsten Fluren mit Porträts der Bundespräsidenten. Diese Generation will nicht gestalten, sie will verwalten. Ein gutes Drittel der Befragten favorisiert den staatsfinanzierten Sektor. Als das mit Abstand wichtigste Kriterium nannten 61 Prozent der Befragten Jobsicherheit. «Staat statt Startup» lautet die Devise – dies wohlgemerkt: in einer der reichsten Industrienationen mit der fast niedrigsten Arbeitslosenquote Europas, im Land der mutigen Mittelständler, Erfinder und Denker.
Abenteuer, Internationalität, das Neue und Unbekannte? Das wollen wir auch, aber bitte in angemessener Besoldungsstufe, mit Auslandszulage und der Möglichkeit, auch einmal nach New York oder Rio zu wechseln. Der beliebteste Arbeitgeber in Deutschland ist seit Jahren das Auswärtige Amt.
Es wächst ein furchtbarer Verdacht: Meine Generation ist bei weitem nicht so kreativ, hip und ausgeflippt, wie sie gerne auf ihren Instagram-Fotos und in ihren Facebook-Postings tut. «Risikofrei und Spaß dabei» lautet die neue Chiffre. Unsere Komfortzone aus Fluffigkeit und Plüschigkeit umgibt uns in allen Bereichen des täglichen Lebens: Wir bekommen bessere Noten als frühere Generationen und wissen doch weniger. Wir flirten ohne sichtbare Ablehnung bei Tinder, einer App, die das Thema «Korb» nicht kennt. Wir nuckeln an kohlenmonoxidfreien E-Zigaretten mit Zimt-Geschmack. Wir sind alle hochbegabt, liebenswert und großartig. Und alles, was wir tun, gefällt.
Schuld an dieser Geisteshaltung sind auch die Generationen vor uns. Das große Thema der Achtundsechziger lautete Anerkennung, wie sie u. a. der Frankfurter Sozialphilosoph Axel Honneth theoretisiert hat. Übertragen auf die Pädagogik als erstes Übungssystem wurde daraus das «anything goes» und die heute in allen Bereichen vorzufindende Grußkärtchen-Esoterik der Achtsamkeit.
Der Aufstieg der «Generation Y» ist das Folgeprodukt der Selbstauflösung von Autoritäten, des Lagerwechsels von Lehrern, Eltern und Professoren. Heute «liked» man einander auf Facebook und fragt sich angesichts des unheilvollen Widerspruchs dieser asymmetrischen Kumpanei zugleich, ob wir stets deshalb nie so gefordert wurden, weil die vorherige Generation, die wohl oftmals selbst zu hart angefasst wurde, vor allem geliebt werden wollte.
Weil uns nie viel abverlangt wurde, fallen wir heute mit erhöhtem Stress-Level sogleich ins Wachkoma des Burnouts. Befördert werden wollen wir aber trotzdem schon sofort. Entlohnung für bloße Anwesenheit, das ist Beamtenmentalität. Wir wollen Applaus für Dienst nach Vorschrift.
Als «Hiatus» betitelt der Philosoph Peter Sloterdijk in seinem neuesten Werk «Die schrecklichen Kinder der Neuzeit» das Phänomen, die eigene Existenz nicht mehr als Folge einer kulturellen Traditions- und Vererbungsgeschichte zu sehen, sondern sich aus dem Nichts zu erschaffen, einem Napoleon gleich, der sich die Kaiserkrone gleich selber aufsetzte. Insofern ist die «Generation Y» alles andere als schrecklich. Sie gleicht schon phänotypisch der Elterngeneration und verfolgt auch die gleichen kleinbürgerlichen Ziele nach Sicherheit und Miniaturwohlstand.
Rente als Minimalzins
Der einzige Unterschied ist, dass wir den Kreditvertrag infrage stellen, auf dem bisher das Leben beruhte: Verleihe schon jetzt über Jahrzehnte deine beste Lebenszeit gegen Geld, dann bekommst du (vielleicht) später in Form der Rente einen Minimalzins an Lebensqualität zurück. Die «Generation Y» ist der neutestamentliche «verlorene Sohn», der schon Anfang 30 nach dem Erbteil fragt. Die Rente ist nicht sicher, der Erbteil schon. Selbst unser Altruismus musste hedonistisch sein. Was früher Weltverbesserung war, heißt heute Selbstoptimierung. Selbst wenn wir uns für irgendetwas einsetzen, unterschreiben wir meist nur eine Petition im Internet. Wir sind die passivsten Aktivisten, die es je gab. Zuerst kommt das Leben, dann die Arbeit. Die Gegenwartsverhaftung kulminiert in der Chiffre «#Yolo» («You only live once»).
Unsere Revolution ist der Siegeszug des «Chill mal». Doch diese Haltung ist letztlich parasitär. Wir profitieren vom Gegebenen und fügen nichts hinzu, außer vielleicht einmal eine neue App.
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Ich, Jahrgang 1983 , finde mich dort mehrheitlich nicht wieder. Und viele meiner Freunde und Bekannten ebenfalls nicht. Dies liegt vermutlich daran, dass ich aktiv in einem Mehrgenerationenhaushalt (Jahrgänge 1891- 1927) aufgewachsen bin und an meine Geschwister und mich ganz andere Massstäbe angelegt wurden und wir somit wohl aus anderem, vermutlich härterem Holz, geschnitzt wurden. Ob dies zwangsläufig immer gut ist, sei dahingestellt. Im Gegensatz zu den Leuten, welche Ende der 90er, Anfang der 00er Jahre geboren wurden, bin ich heilfroh ohne technischen Krimskrams, ohne Fernsehkonsum dafür jedoch mit viel Spiel, Fantasie und einem vernünftigem Verantwortungsbewusstein aufgewachsen zu sein. Mir machen die Leute, welche sich jetzt in ihren Zwanzigern befinden ehrlich gesagt mehr Sorge hinsichtlich ihres verflachten Denkens, ihrer im wahrsten Sinne des Wortes "Sprachlosigkeit", ihres überhöhten Selbstwertgefühls und wahnsinnigen Oberflächlichkeit.
Was das Thema Rente angeht, ist diese Generation weiß Gott nicht zu beneiden. Das der Generationenvertrag nicht mehr trägt ist ja ein offenes Geheimnis. Umso unverständlicher, dass diese Generation massenhaft den woken Eliten hinterher läuft, die wirklich alles dafür tun, diese Probleme auch noch zu verschärfen.
Die Ausage dass sie nichts schafen sondern nur verwalten wollen ist schon ganz richtig, zumindest für den größten Teil, Ausnahmen bestätigen ja bekanntlich die Regel.