Der Lebensimperativ
80 Jahre nach Kriegsende: Wer nicht im Programm der anderen landen will, entwerfe sich sein eigenes.
“In den frühen dreißiger Jahren sprach Karl Jaspers vom ‘Kampf ohne Front’. Wir haben die Front ohne Kampf hinzuerfunden. Überall Feindphantasmen, bei denen mangels eines realen Gegners kein Schuß fällt.”
– Peter Sloterdijk, Zeilen und Tage III
Alle 80 Jahre etwa geschieht ein geschichtlich grundstürzendes Ereignis, so die Autoren des Buches „Die vierte Wendung/The 4th turning“. Vor 80 Jahren endete der II. Weltkrieg. Gerade passiert die Neuauflage dessen, was Kurt Flasch „die geistige Mobilmachung“ genannt hat. Sie funktionierte im Ersten, im Zweiten und würde auch im Dritten Weltkrieg funktionieren. 80 Jahre genügen, um jede Erinnerung umzukodieren. Deutschland wird eine lange Reinkarnationsschleife vor sich haben – sofern es bis dahin nicht aufgehört hat zu existieren.
Wo existiert das “alte Deutschland” überhaupt noch? Welches Prinzip der letzten Jahrzehnte zählt noch, vom Imperativ der Erinnerung bis zu „Nie wieder Krieg“? Wer ist überhaupt der Feind, wenn die USA North-Stream gesprengt haben und Corona jetzt womöglich aus einem Labor in North Carolina stammt, und die USA sogar ein Biolabor in Deutschland betreiben, um z.B. an Coronaviren zu forschen? Wenn ein besetztes Land gleichzeitig Verbündeter und Angriffsobjekt sein kann, wer ist dann Freund und wer Feind? Folgt nach dem Impfzwang nun der Kriegszwang? Nach „alles in den Arm“ ein „alle in die Armee?“. Nennt man das dann noch „Unsere Demokratie“ oder schon „Faschismus mit gutmenschlichem Antlitz“?
Wo bricht die Illusion?
Eine Illusion bricht in der Regel nicht nur an einem Punkt, sie geht an vielen Stellen aus dem Leim. Das Vertrauen in die Politik ist bereits kaum mehr unterbietbar. Das Vertrauen in das Geldsystem wird folgen. Doch die Sollbruchstelle ist oft der Punkt, an welchem das ganze Illusionsgebilde aufgehängt ist, am Punkt des Selbstverständnisses, also der Moral. Wer sich für die Guten hält, kann lange Böses im falschen Glauben tun. Wer Absurditäten glaubt, wird Gräueltaten begehen. Der Kitt der Identität ist der Glaube an die höhere Moral, die sich doch immer wieder Deutschland aussucht, um die Welt damit zu beglücken. Die Reinkarnationsschleife wird lang, sehr lang.
Für den Glauben an die höhere Moral ist der Medien-, Kunst- und Kulturbetrieb zuständig. Sie ölen die Moralmaschine, die auch eine Melkmaschine und ein Etikettiergerät ist. Die Moralmelker bilden ein Kartell des Gutmenschentums nach eigenen Kategorien. Die erste Regel dieses Kartells lautet: Wer Nazi ist, bestimmen immer noch wir, aber im Zweifel ist es immer nur der andere.
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Vor kurzem wurde bekannt, dass Siegfried Unseld, Verlegerüberfigur des Suhrkamp Verlages (wo ich einen Teil meines juristischen Vorbereitungsdienstes absolvieren durfte) Mitglied der NSDAP gewesen war. Im Mainstream machte diese Enthüllung kaum Welle, wohl nach dem Motto: „Es hat mal wieder einen von uns getroffen, besser wegschauen“. Bei der Waffen-SS-Geschichte von Günter Grass war die Lust an der Fallhöhe größer. Eben das gehört auch zu den imaginären Fronten: Ist die Außenfront nicht stark genug, wird sie ins Innere gezogen, es kommt zu zivilreligiösen Saturnalien, in welchen die Revolution ihre Kinder verspeist.
Einen Unseld verspeist gerade niemand. Oder haben die gutmenschlichen Autoren, die sonst bei jedem Naziverdacht aufheulen, bereits aus Kontaktschuldgründen ihre Autorenverträge mit Suhrkamp gekündigt? Unseld wollte einem Thomas Bernhard gut zureden, sein Stück „Heldenplatz“, in welchem er Österreich das eigene Mitläufertum um die Ohren schlug, zu entschärfen. Dem Buch drohe eine Beschlagnahme. Dieses „Überall Nazis“ von Bernhard und zwar „bis heute“, ging dem NSDAP-Mitglied Unseld wohl zu weit. Er wird so schnell nicht als „umstritten“ gelten. Trotzdem: Die Moralmaschine hat längst ein Leck, ihr entweicht seit Beginn ihres Bestehens Zeit hochverdichtetes Gutmenschentum, ein toxischer Schleier, der die Prinzipienlosen schützt und die Prinzipientreuen zur Selbstkritik herausfordert.
Umstritten bleibt daher in diesem Gesamtgemälde ein Ernst Jünger, und zwar dauerhaft. Er erhielt 1982 den Goethe-Preis, überreicht in der Paulskirche, ca. 3 km oder 11 Minuten Autofahrt von der Unseld-Villa im Frankfurter Nordend entfernt. 3 km Distanz zwischen einem erklärten Nicht-Nazi und einem NSDAP-Mitglied, doch das Gutmenschenvölkchen hatte seinen Barrabas schon auserkoren.
Gegen die Preisverleihung gab es damals Proteste von “links-grün”. Gegen Bernhards Heldenplatz gab es Proteste von „rechts“, vor dem Burgtheater in Wien luden Bauern Mist ab. Frontverläufe der Literatur und Unseld mitten drin. Ich frage mich gerade jetzt: mit welchen Gefühlen?
Schutz ist in mafiösen Strukturen und Kartellen eine Dienstleistung, die man kaufen kann. So auch bei uns. Unseld wird wohl medial kein „Nazi“ mehr, obwohl er dem Buche nach einer war, es aus Opportunismus verschwieg und noch glaubte, seinen Autoren die NS-Vorwürfe aus den Manuskripten rausglätten zu müssen. Betrübt bemerkte Unseld in einer Notiz zu den Briefen mit Thomas Bernhard, dass Bernhard ihn für einen “Teppen” (sic) halte, dem es nur um sein kleines, niedriges “Geschäfterl” ginge. Ein Ernst Jünger lehnte ein Reichtstagsmandat ab, war nie NSDAP-Mitglied, grüßte nach eigenem Bekunden kein einziges Mal mit „Heil Hitler“, musste den eigenen Sohn vor dem NS-Schafott retten und wird doch für immer „umstritten“ bleiben.
Wer dem Ruf der Horde nicht folgt, bekommt zwar weniger Preise, doch dafür ein neues Leben geschenkt, das kein Opportunist sich je ergaunern kann. “Eine Chronik schreibt nur jemand, dem die Gegenwart wichtig ist”, dieses Zitat Goethes ziert eine Suhrkamp-Chronik. Doch zum wichtigsten Chronisten des 20. Jahrhunderts wurde nicht etwa ein Suhrkamp-Autor sonder Ernst Jünger und die Frontverläufe änderten sich kaum. Der Prophet gilt nichts im eigenen Lande. Immerhin: Etikettierungsversuche endeten damals noch an der Landesgrenze.
In der Heimat war Jünger verfehmt, doch in Frankreich, dem zweimal von ihm überrannten Land wurde er in den literarischen Olymp der „Pléiades“ aufgenommen. Das ist von den Suhrkamp-Autoren sonst nur Brecht gelungen, der Landser Böll hat es trotz Nobelpreis nicht geschafft. Am 22. Juli 1942 traf Jünger in Paris auf Picasso, der ihm sagte:
“Wir beide, wie wir hier zusammensitzen, würden den Frieden an diesem Nachmittag aushandeln. Am Abend könnten die Menschen die Lichter anzünden”.
Picasso, Kommunist und Erschaffer des Kriegsgemäldes „Guernica“ sah in Jünger keinen von „denen“ und scheinbar weder primär noch ausschließlich, oder vielleicht überhaupt: einen Nazi. Picasso war noch während des Krieges zu Unterscheidungen fähig, die der deutschen Geistesnomenklatura selbst nach dem Krieg nie gelang.
Raus aus der historischen Sackgasse
Welches Programm läuft eigentlich immer wieder in Deutschland ab, dass sich dieses Land so verlässlich in die immer gleichen geschichtlichen Schleifen ziehen lässt? Ablass gegenüber der Geschichte bezahlt man nicht durch neue Untaten, auch wenn man sie für Heldentaten hält.
Jünger fragte sich in seinem Werk immer wieder, welche Titanen es schaffen, die alten Götter abzulösen. Diese Frage ist für die aktuelle und neue Generation noch unbeantwortet. Doch den Titanen macht aus, dass er nicht nur gegen etwas, sondern auch für etwas Neues ist. Das erst macht ihn zu einem Pfeiler einer neuen Ordnung und nicht zu einem bloßen Nager am Stamm des Alten. Kein Autor hat den Nihilismus seiner Zeit besser beschrieben als Jünger, bemerkte Suhrkamp-Autor Hans Blumenberg. Der Nihilismus unserer Zeit, die Kriegslust und Realitätsverdrehung sowie der Hauch des Morbiden sind das gleiche geistige Design, das auch Jünger vor sich sah.
Die große Herausforderung besteht heute darin, sich diesem Design zu widersetzen, und aus einer bloßen Existenz ein Leben zu machen. Nicht was die anderen mit uns vorhaben, sondern nur was wir selbst mit uns vorhaben, ist die eigentliche Entscheidung zwischen Tod und Leben, die wir täglich zu treffen haben. Wenn wir selbst nicht entscheiden, entscheiden andere über uns, so lautet die staatsmonopolistische Standardeinstellung. Derjenige muss gehorchen, der sich nicht selbst befehlen kann, wusste Nietzsche. Die Null-Bock-Generation hört das gerne, sie geistert gerade als “Kä Luscht”-Generation durch Schweizer Blätter, Barleby ist überall, vorallem wenn es ungemütlich wird.
Jeder Weg zur Veränderung der Welt führt daher über uns selbst. Beim ersten Inner Circle am vergangenen Wochenende in Braunwald durfte ich eine Zusammenkunft von sich vertrauten Individuen erfahren, die diesen Lebensgeist in sich tragen. Jeder Weg führt stets vom Ich zum Du zum Wir. Ich freue mich auf alles, was aus dieser oder anderen Gruppen entstehen mag.
Wenn’s keiner tut, tun wir’s!
Nächster INNER CIRCLE am Gardasee!
Auf das erste Treffen in Braunwald meldeten sich weitaus mehr Menschen an, als es Plätze hatte. Es gibt daher eine Zusatzveranstaltung. Der nächste “Inner Circle” (mit ähnlichem Programm) findet vom 06.06. - 09.06. (3 Nächte) am Gardasee statt. Sie sind an besonderer Vernetzung, geistigem Wachstum und Lust an Veränderung interessiert? Buchen Sie gerne einen Platz hier oder über kontakt@idw-europe.org. (Es gibt Rabatte für Förderabonnenten, Genossenschafter und Paare).
Herzlichen Dank, dass Sie meine Arbeit unterstützen!
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Zustimmung, mit einer Ergänzung zur vermutlich rhetorischen Freund / Feindfrage, wobei man diese Begriffe fuer das Gesamtproblem der Begrifflichkeiten und ihres Verständnisses herannehmen darf. Der Jurist auf diese und aehnliche Fragen mit der Bitte um eine Definition antworten. Gerne auch mit einem '"es kommt darauf an " oder einem "weder, noch" oder einem "sowohl als auch". Der Hegemon z. B. ist von gewissen Antipathien oder Sympathien Einzelner abgesehen vor allem ein Träger von Motiven, Interessen und Zielen. Was zur Folge hat, dass es Rollen und Rollen wechsel gibt aber auch dass manche Kategorien untauglich sind. Aehnliches gilt auch fuer die nicht zufaellig geschätzten, moralisch /religiösen Bewertungen wie "gut oder boese" . Im " Spiel" wechseln die Rollen, die Erwartungen und die
Bewertungen. Als Instrument ist man
zwar nicht Freund, ein sehr
inflationär verwendeter Begriff,
zwischen Staaten voellig deplatziert,
aber nützlich und deshalb geschätzt,
solange man mitspielt. Ob man bei
einer Verweigerung gleich zum Feind
wird, ist fraglich. Die Zwischenstufe
ist, man wird uninteressant oder
obsolet. Was auch mit Folgen
verbunden ist. Diese Zwischenstufe
oder Grautöne gibt es ueberall da, wo
es Menschen gibt. Sie sind allerdings
in Ideologien grundsaetzlich, in
manchen ganz besonders,
unerwuenscht. Verstaendlich. Und
der Mensch selbst hat mit
Differenzierungen, Mehrdeutigkeit,
Offenheit, fehlender Zu - oder
Einordnung ein Problem.
Ideologien leisten hier wertvolle Hilfe, vor allem ihre Narrative. Heute mehr denn je, denn der Nihilimus und die abhanden gekommene Identität braucht Krücken.