„Ob das eine Geschichte wird?“
Was will mir Peter Bichsel sagen? Spurensuche einer Synchronizität.
Eigentlich wollte ich über Krieg, Frieden, das Tollhaus Deutscher Bundestag, Wahlbetrug, das BSW, die Abwrackung der Demokratie im Gemetzel der nächsten Krise schreiben…und der Text kommt noch irgendwann, versprochen, so wie viele Texte in diese Richtung. Und wir werden auch noch viele Friedenstauben fliegen lassen!
Eigentlich. Denn dann kam Peter Bichsel. Besser: Er ging. Es kam die Nachricht vom Tod Peter Bichsels. Ein Autor von dem ich noch nie etwas gelesen, dessen Namen ich aber schon einmal gehört habe. Ich lese im Klappentext und auf Wikipedia, dass es einer der bedeutendsten Schweizer Schriftsteller ist, bzw. war, eher links.
Ich stöbere immer wieder durch Antiquariate in der Schweiz, als flaneur vagabond, der ich nunmal beruflich sein muss, und sicher ist es nichts Ungewöhnliches, in einem Luzerner Antiquariat (obwohl von mir schon gut abgegrast, verrate ich es hier natürlich nicht, da bin ich manchem Pilzsucher verwandt), ein Buch von Peter Bichsel zu finden, der ja, wie ich jetzt weiß, einer der bedeutendsten Schweizer Schriftsteller ist. Es kam also, dass ich in besagtem Antiquariat ein Buch von Peter Bichsel kaufte, vermutlich sprang mich der Titel an, oder die oft unbeirrbar treffsichere magnetische Kraft, die mich zu manchem Buchkauf verleitet, frei nach dem Motto: Ich weiß es, wenn ich es sehe. Auch wenn ich es danach nicht lese. Oder nicht gleich. Oder irgendwann.
„Zur Stadt Paris. Geschichten Suhrkamp.“
Was könnte mir Peter Bichsel zu Paris wohl sagen, wo ich sieben wichtige Jahre verbringen durfte, mich weiterbilden, mich konstituieren durfte, und welches ich kennen, schätzen und lieben gelernt habe, auch wenn es an jedem zweiten Trottoir nach Pipi riecht?
Paris ist für mich die Grande Dame der Städte, in denen ich leben durfte: bien maquillée, vieille, mystérieuse. Ich lernte diese Stadt mit völlig neuen Augen entdecken, fand einen Meister, der mich führte, einen älteren Herrn, der Architekt im Louvre war und mir zeigte, in welcher Sprache diese Stadt zu einem sprechen kann. Ich erinnere mich, dass ich weinte, als ich Paris verließ und einem irre vollgepackten, niedrigen PKW davon fuhr. Gut, ich weinte in einem liebgewonnenen Porsche 924 S (und auch etwas über die einbehaltene Kaution) – aber ich weinte. Das tat ich nicht mal in Berlin, welches ich mal heiß und innig geliebt habe und dem ich mal ewige Treue geschworen habe, bevor la Svizzera mir die Tür öffnete.
Was also will mir Peter Bichsel über Paris sagen? Ja, ich habe Paris-Nostalgie. Ja, ich kaufe notorisch Bücher von Verstorbenen, die ich dann zu selten lese. Neuerdings auch von noch lebenden, dann plötzlich Verstorbenen. Ich lese sie also zu wenig aber ich bilde mir ein, ihre Frequenzen allein schon durch ihre Anwesenheit bei mir ein Stück weit aufzunehmen. Gedanken, Sätze, letztlich alles ist eine Frequenz.
Ein sehr aktiver Leser in Schöngeistereien bin ich oft nicht mehr. Doch manchmal weiß ich nicht, was ich schreiben soll, oder drücke mich vor einem ekelhaften Text, und dann lese ich ein paar Aphorismen, oder Jünger, den zum Pazifisten gewordenen Militaristen oder Notizen von Sloterdijk, oder einen dummen Roman, der dann doch nicht so dumm ist. Und dann stirbt Peter Bichsel und mir fällt dieses Buch in die Hände, von dem ich schon vergessen hatte, dass ich es besitze. Und es lag da so rum, und wanderte, von einer Couch auf die andere, immer noch unberührt, dann auf den Tisch, dann auf die Couch am Kamin und irgendwann öffnete ich es und las, denn erst kam Peter Bichsel, dann ging er, dann kam er wieder, begann zu wandern, bis ich mich erbarmte, das Buch öffnete und las.
Eine Widmung.
Gezeichnet Peter Bichsel. Eine Widmung an eine Politikerin der CVP, die er gewählt hätte, obwohl er ja Sozi sei. In Luzern gewordener Sozi… Im Grunde schon die erste schöne Botschaft: Wir sind in zwei Lagern, aber ich finde Sie persönlich trotzdem gut. Persönlichkeit sticht Partei. Individuum sticht Kollektiv. Eigentlich eine Friedensbotschaft. Denn die Aufteilung in zwei Lager geht jetzt erst so richtig in die Kür, nach der Corona-Pflicht. Und dann sind die, die kritisch nachfragen nicht mehr nur Putin-Versteher, sondern Terroristen. Danke, Peter Bichsel. Und traurig: Ein weiterer Linker dieser Sorte ist von uns gegangen.
Ich kaufe ein Buch, der Autor stirbt, ich finde, was ich vergessen hatte, ich öffne es und fange an zu lesen.
Bitte nicht falsch verstehen. Ich könnte es auch nicht lesen. Ich könnte einen Text über Krieg und Frieden und den Wahnsinn und das Corona-Lableak und Biowaffen schreiben und vielleicht sollte ich das (oder wollen Sie? Dann kommt es in der Friedenstaube: milosz@pareto.space, es nennt sich Citizen journalism).
Doch diese Begegnung mit Peter Bichsel ist für mich eine der klassischen Synchronizitäten, wie sie mir in den letzten Jahren immer häufiger begegnen; verdichtete Begebenheiten, die Überlappung zweier Zeitstränge in meinem Raum, die ich zunächst nicht einordnen kann, aber die mich bisher immer zu etwas geführt haben, was bedeutungsvoll ist. Wohin wird mich Peter Bichsel führen? Auf dem Weg in meine Sehnsuchtsstadt? Zu einem Thema? Einer Erkenntnis? Was wird er mir mitteilen wollen? Und: werden wir vielleicht miteinander ins Gespräch kommen?
Ich berichte. Vermutlich unregelmäßig, denn es gibt viel zu tun.
Am Anfang des Buches steht dieser Text:
“In Langnau im Emmental gab es ein Warenhaus. Das hieß Zur Stadt Paris.”
Das Paris-Buch von Peter Bichsel ist also nach einem Warenhaus in Langau im Emmental benannt. Ein Sozi ist von einem Warenhaus beeindruckt. Um Langnau herum kann man gut Motorradfahren. Eine erste Spur.
Der Text geht weiter:
“Ob das eine Geschichte ist?”
Haben Sie Erfahrungen mit Synchronizitäten? Was bedeutet Peter Bichsel für Sie? Doch Achtung: Jede Information von Ihnen wird ab jetzt Teil der Synchronizität. Sollte ich eher einen Text zu Krieg und Frieden schreiben? Oder wollen doch Sie? milosz@pareto.space
DIE FRIEDENSTAUBE FLIEGT IN IHR POSTFACH…
Hier können Sie die Friedenstaube abonnieren, die erste unzensierbare Friedenspublikation und bekommen die Artikel in Ihr Postfach, vorerst für alle kostenfrei, wir starten gänzlich ohne Paywall. (Die Bezahlabos fangen erst zu laufen an, wenn ein Monetarisierungskonzept für die Inhalte steht). Sie wollen uns mit einem freiwilligen Abonnement unterstützen oder Verleger durch Beitritt zur Genossenschaft werden? Mehr Infos (auch für Autoren) hier. (Kontakt: milosz@pareto.space).
ANZEIGE:
Sie suchen nach dem einfachsten Weg, Bitcoin zu kaufen und selbst zu verwahren? Die Relai-App ist Europas erfolgreichste Bitcoin-App. Hier kaufen Sie Bitcoin in wenigen Schritten und können auch Sparpläne einrichten. Niemand hat Zugriff auf Ihre Bitcoin, außer Sie selbst. Relai senkt jetzt die Gebühr auf 1%, mit dem Referral-Code MILOSZ sparen Sie weitere 10%. (keine Finanzberatung). Disclaimer wg. EU-Mica-Regulierung: Die Dienste von Relai werden ausschließlich für Einwohner der Schweiz und Italiens empfohlen.
Herzlichen Dank, dass Sie meine Arbeit unterstützen!
Ich kann Ihnen auch manuell einen Zugang zur Publikation einrichten, wenn Sie lieber per Paypal, Überweisung oder Bitcoin (einmal Jahresbeitrag, ewiger Zugang) bezahlen. Sie erreichen mich unter kontakt@idw-europe.org
Wir haben in der Schule, irgendwann in den Achtzigern, mal die "Kindergeschichte" "Ein Tisch ist ein Tisch" von Peter Bichsel gelesen, die mir nachhaltig in Erinnerung geblieben ist: Ein alter Mann benennt, um der ewigen Gleichförmigkeit seines Alltags zu entfliehen, alle Gegenstände neu, bis ihn niemand mehr versteht und er die Leute nicht mehr versteht. "Und deshalb sagte er nichts mehr. Er schwieg, sprach nur noch mit sich selbst, grüßte nicht einmal mehr."
Peter Bichsel fand ich immer sympathisch, als Autor und mehr noch als Mensch. In meinem Regal stehen 7 ungelesene Taschenbücher von ihm und warten seit vielen Jahren auf Lektüre. Hab mir gerade "Die Totaldemokraten" (Edition Suhrkamp) mit politischen Essays über die Schweiz geschnappt und denke, auch hier könnten sich einige Synchronizitäten mit der jüngsten Zeit auftun.
Ich finde beim Durchblättern auch die Kolumne "Krieg an und für sich" angesichts des Golfkriegs 1990 verfasst. Letzter Absatz:
"Geheimhaltung ist zwar nicht immer Betrug – aber sie hat fast immer Betrug zur Folge. Man betrügt uns um unseren Realitätsbezug. Meine Meinung zum Golfkrieg zum Beispiel kann ich mir nicht selbst bilden, ich bin – leider – auf meine Vor-Urteile angewiesen."
Ich bin mit Peter Bichsel und seinen Kindergeschichten aufgewachsen. Es sind eigentlich Geschichten für Erwachsene, die Erwachsene zum Weinen bringen. Es sind die schönsten, traurigsten, liebevollsten
außerdem sehnsüchtigsten und weisesten Geschichten, die ich gelesen habe.