Finde die Wahrheit
Mit Krach & Poesie ins neue Jahr! Während Künstler reihenweise ins Regierungslager wechseln, klingen vier Jungs aus Frankfurt plötzlich aktueller denn je. Ode an die «Böhsen Onkelz».
So schlimm die Zeiten gerade auch sein mögen, so viel offenbaren sie auch. In der Katastrophe nimmt die Klarheit zu. Das gilt besonders für die Kunst. Die Gutmenschenfraktion von Grönemeyer über Niedecken bis Wecker zeigte uns zuletzt ihr autoritäres Gesicht. Nur wenige hielten dagegen, wie Nena oder Julia (Jule) Neigel. In den letzten Jahren habe ich eine Band wieder häufiger gehört, mit der ich in der bayerischen Provinz aufgewachsen bin: die “Böhsen Onkelz”. Ihre Texte klingen aktueller denn je, die schroffen Riffs wirken manchmal wie ein Peeling, wenn man täglich im Sumpf der Lügennachrichten unterwegs ist. Zwischendurch mal laut aufgedreht: ein ideales Ventil, es muss ja nicht immer Chopin sein. Den Erfolg haben sie sich hart erarbeitet: Mit ihren autoritätskritischen, freiheitsliebenden und wahrheitssuchenden Texten blieben sie sich immer treu, als “Stachel im Arsch der Nation”. Sie sind der lebende Beweis, dass man sein Publikum finden kann, ohne sich bei irgendwem anzubiedern. So halte ich es auch mit meiner journalistischen Arbeit. Manche Wege muss man alleine gehen. Zum Jahresabschluss lese ich im Buch der Erinnerung und trinke auf: gute Freunde, treue Leser, auf Onkelz, Neffen und Nichten im Geiste, und auf ein neues Jahr! Es gibt viel zu tun und ich laufe mich erst noch warm!
«Endlich normale Menschen», denke ich in der Schlange vor der Münchener Olympiahalle. Die meisten tragen schwarz, nicht wenige sind tätowiert oder haben ein paar Kilos mehr auf den Rippen. Der Träger des T-Shirts vor mir weist sich als Absolvent der Landwirtschaftsschule Landsberg am Lech aus. Auf den Parkplätzen: viele spurverbreitete und tiefergelegte Karossen mit getönten Scheiben. Es ist mein erstes «Böhse Onkelz»-Konzert, die wohl am meisten geächtete Band Deutschlands. Das Konzert ist, wie die gesamte Tour, restlos ausverkauft. Wenn Ächtung irgendwie mit Achtung zusammenhängt, scheinen sich die vier Frankfurter einiges davon verdient zu haben.
Schon gecancelt als es das Wort “Cancel Culture” noch nicht gab
Seit ich denken kann, waren die Onkelz immer schon Anti-Mainstream und heiße Ware: Die Band, über die man lieber hinter vorgehaltener Hand spricht. Auf dem Schulhof gab es für die Punkfraktion nur die «Toten Hosen» oder die «Ärzte». Offen zu den Onkelz standen nur die wenigsten, die Außenseiter eben, denen es egal war, was andere von ihnen denken. Das Outing als Fan: bei den Onkelz immer schon ein Charaktertest.
Heutzutage ist viel von Cancel Culture die Rede, von Kontaktschuld und Zensurierung unliebsamer Ansichten. All diese Phänomene begleiten die Onkelz seit ihrer Entstehung 1980 und ließen sie nie ganz los: Diffamierungen von der Presse, indexierte Alben, Beschweigen im Rundfunk, Sendeverbot auf MTV. «Der Drache steigt nur gegen den Wind», wusste schon Churchill und er fliegt heute höher denn je. Je absurder die Zeiten und je verengter die Räume zu sein scheinen, desto erfolgreicher wurden die Böhsen Onkelz.
In ihren 42 Jahren Bandgeschichte haben sie Millionen Platten und Konzerttickets verkauft, sechs Studioalben landeten in Folge auf Platz 1 der deutschen Charts. Den Hass des Mainstreams haben sie sich hart erarbeitet: «Der Widerstand wächst, mit größeren Zielen – wir existieren wirklich zum Verhängnis von vielen», singen sie in «Terpentin» und es klingt heute wahrer denn je. Sicher: Auch Pose und Pathos gehören zu den Onkelz, ebenso wie Ironie und Rollenspiel in den Texten. Das Münchener Olympiastadion brodelt jdenfalls bereits nach zehn Minuten, es wird wild Pogo getanzt und die ersten Bierbecher fliegen über die Ränge.
Das Erfolgsrezept der Böhsen Onkelz klingt einfach, aber es ist eben das Einfache, das oft schwer zu machen ist: Sie sind die Stimme aus der Gosse, das Megafon der Abgehängten und Außenseiter. Seit ihren Anfängen in der Oi-Skin-Szene, der musikalischen Querfront des Punks aus England, tönt ihr libertär-rotziger Sound verlässlich in die gleiche Richtung: von unten nach oben. Sie hören unten zu, da wo sie herkommen, und schreien den Protest nach oben hinaus, zu den Mächtigen des Establishments. Ist dies der rote Faden, der zur DNA der Band gehört und welcher sie so eng mit ihren Fans verbindet?
Unmissverständlich ging es seit je gegen die Heuchelei der Presse:
«Er kennt die Antwort auf alle Fragen/Er weiß heute schon, was morgen ist/Der Prophet in diesen Tagen/Wisst Ihr, wer es ist?/Das Geschwür in meinem Magen/Nennt sich Journalist».
Der große Dorn in ihrem Auge sind seit jeher eben diejenigen, die sich auf Dogmen, Denkfaulheit und Doktrinen stützen, wie totalitäre Systeme aber auch die Kirche: «Zensur und Moralismus ist alles was sie bringt/eine halbe Erlösung, der Himmel stinkt». Aus Steinen im Weg bauten sie sich eine Treppe nach oben, so zum Beispiel als sie legendär mit MTV abrechneten «Wir können es uns leisten, euch zu Feinden zu haben». Und natürlich bekommen auch Politiker ihr Fett weg, also diejenigen, die «nur von Freiheit reden und nicht dazu stehen».
Ein Hauch von Stirner und Nietzsche
Doch die Onkelz wären heute nicht dort, wo sie sind, wenn sie nur bei Anklagen und trinkseligen Liedern à la «dick und durstig» geblieben wären. Ihr Erfolg ergibt sich auch aus ihrem eigenwilligen Mix von «Krach und Poesie». Aus den Texten hört man den Eigensinn Stirners, die Philosophie mit dem Hammer eines Nietzsche und den Hang zu einem unverbrüchlichen Individualismus heraus, der sich zu einer Botschaft kristallisiert: Nicht der breite Weg der Anpassung und des Gehorsams ist der richtige, man soll sich lieber den harten eigenen Weg nach oben suchen oder beim Versuch dabei untergehen.
Ihre Musik ist ein Cocktail aus Bier, Energydrink und etwas zu viel Tequila: Energiegeladen, authentisch, garantiert politisch unkorrekt, rauh und direkt aber weit weniger platt als es viele gerne hätten, sondern thematisch breit gestreut von proletarisch bis philosophisch. Ein permanentes Plebiszit der Kunstfreiheit einerseits, die Agenda der Ausgestoßenen, Aussätzigen, Abgehängten andererseits. Die Botschaft der Band ist zur Metapher für ihre eigene Existenz verschmolzen und für eine universelle Wahrheit: Verbiege dich nicht, entschuldige dich nicht für das, was du bist oder wo du herkommst, beiss die Zähne zusammen und ertrage die Erniedrigung mit einem lächelnden Gesicht, denn die «Stunde des Siegers» kommt für jeden irgendwann.
«Kunst wird in Zwängen geboren, wächst durch Kämpfe und stirbt in der Freiheit», wusste schon André Gide. Vielleicht ist der Sound der Onkelz auch deshalb noch heute so vital und unverbraucht. Die «Toten Hosen» werden inzwischen auf CDU-Parteitagen gespielt, fahren brav ICE mit FFP2-Maske. Die «Ärzte» machen Corona-Impfwerbung, als gäbe es von falschen Ärzten in der Politik nicht schon genug und treten in den «Tagesthemen» auf. Die Pseudo-Systemkritik ist eben schon längst Mainstream geworden, wurde systemkonform eingehegt.
Subkulturen des Protests muss man heute in der Musik mit der Lupe suchen. Was früher Punk & Metal waren, ist heute eher Gangster-Rap. Doch auch der gewinnt ja «Bambis», wie man bei Bushido sah. Die Onkelz sind die große Ausnahme geblieben. Um das Establishment auf die Palme zu bringen, braucht es heute vielleicht auch weniger als in den letzten Jahrzehnten. Als der Bassist und Texter Stephan Weidner in einer kurzen Konzertpause die aktuelle Spaltung in der Gesellschaft anprangert, erntet er dafür Standing Ovations. Inzwischen ist das Canceln selbst kleinster Abweichler in den Medien zum Alltagsgeschäft geworden. Dass etwas faul ist im Staate, ist seit 42 Jahren die Botschaft der Onkelz. «Habt ihr noch nicht erkannt, warum es Böhse Onkelz gibt?», fragten sie schon in «Nichts ist für die Ewigkeit».
Eigensinn und Unverbrüchlichkeit
Die Geschichte der Onkelz ist pars pro toto die Geschichte vieler Fans und damit immer noch wie ein Thermometer, an dem sich die Fähigkeit der ganzen Republik ablesen lässt, dazu zu lernen und mit Andersdenkenden umzugehen. Im Kern dieser Geschichte steht die Erfahrung, dass mediale Ächtung letztlich nichts bewirkt, außer den Geächteten groß zu machen. Band und Fans schweißte zusammen, dass sie in der immer gleichen Schublade landeten, auch wenn sich die Onkelz von extremistischem Gedankengut mehr als deutlich distanziert haben und Ausflüge in die rechte Szene in ihrer Frühphase inzwischen als jugendliche Verirrung bereuen.
So wurde ein Protestkollektiv auch zu einer Leidensgemeinschaft, die gemeinsame Ächtungserfahrung zum Kitt; die Musik wiederum zum gemeinsamen Ventil für diese Erfahrung. Über ideologischen Gipfeln ist inzwischen Ruh, die Onkelz sind heute eine Kategorie für sich:
«Wir sind nicht von dieser Welt wir sind dein Wille und tun was uns gefällt – wir sind heilige Dämonen, wir sind Götter aus anderen Dimensionen.»
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Die Vitalität der Onkelz, sie zeigt sich auch heute noch an ihrer Verbindung mit ihren Fans, die ihre Lebensader ist. So ist jedes Onkelz-Konzert immer auch ein Fest der Fans, für die Fans, wegen der Fans. Und die Onkelz wissen, was sie diesen schuldig sind, nämlich «Lieder, die die Stimmung heben und Lieder gegen Schmerz». Es ist hierbei auffällig, dass selbst die alten Onkelz-Lieder nach Jahrzehnten immer noch nicht abgestanden und altbacken klingen, die neueren Lieder dafür nie lange fremd.
Die vier Jungs aus Frankfurt zogen wie die Drachentöter aus, um ein Biest zu erledigen; manchmal war es auch der Kampf gegen sich selbst, den es zu führen galt, wie bei Sänger Kevin Russell gegen seine langjährige Drogensucht, was zu einer zeitweiligen Auflösung der Band führte. Sie sind heute gestärkt zurück, ohne viel Umschweife oder salbungsvolle Hymnen, einfach nur mit ihrem unverkennbaren Sound: das nach vorne knüppelnde Schlagzeug von «Pe», die rotzig-eingängigen Riffs von Gitarrist «Gonzo», der wummernde Bass von Texter Stephan Weidner und die Stimme von Kevin Russell, Typ Wikinger, die stets klingt, wie «Auf sie mit Gebrüll!».
Es ist eine Band wie eine Schlachtformation aus dem Film «Braveheart»: Dort die polierten Helme und geschmückten Lanzen der Engländer, hier die Freiheitskämpfer Schottlands, die zum Spott den Kilt heben: Kultivierte Verachtung, made in Frankfurt 1980 und lebendiger denn je. «Die Welt hat uns verlangt, sie hat nichts Besseres verdient.»
Habt ihr jetzt erkannt, warum es Böhse Onkelz gibt?
Dieser Text erschien auch in der Weltwoche.
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War nie Böhse-Onkelz-Fan, nicht mein Musikgeschmack. Doch ich habe immer Respekt vor den wahren Rebellen, nicht den Pseudo-Rebellen wie den Ärzten, die ihre Systemkonformität ja bestens zur Schau gestellt haben.
"Die Stimme aus der Gosse", wie Sie sagen, war schon immer die Stimme, die der Wahrheit am nächsten lag. In diesem Sinne: Guten Rutsch!
Super Artikel! Als alter weißer Metal-Mann hab ich mich immer schon viel mit Mucke beschäftigt, aber die Onkelz sind leider irgendwie an mir vorbeigegangen. Es tut sich was in der lauten Kunst: hätte nie gedacht, mal HipHop zu hören oder gar zu mögen - doch checkt mal z. B. die "Rapbellions"...! Oder, fast völlig schubladenfrei, "Knorkator" mit der aktuellen Scheibe "Sieg der Vernunft".